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Shotgun Lovesongs

Shotgun Lovesongs

Titel: Shotgun Lovesongs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nickolas Butler
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Wisconsin, um meine Wunden zu lecken, mit eingezogenem Schwanz, eine weiße Fahne schwenkend – diese ganze Scheiße. Die Geschichte damals war mir genauso peinlich wie jetzt die Scheidung. Der einzige Unterschied zwischen damals und heute war der, dass ich jetzt Geld hatte und mir keine Sorgen darüber machen musste, wer meine nächste Platte rausbringen würde.
    Als ich damals nach Wisconsin zurückkehrte, war es gerade Halloween. Es war ein perfekter Tag, ein Tag, wie er für den Mittleren Westen typisch war: Die Wolken jagten über den tiefblauen Himmel und in der kühlen, frischen Luft lag der Geruch von Regen und der westlichen Prärien. Ich brauste durch Chicago, am Lake Shore Drive entlang. Große, schaumgekrönte Wellen donnerten gegen die Betoneinfassung des Ufers, im Westen überragten mich die Türme des Finanzdistrikts, an denen die Wolken sich zerteilten, nur um sich dahinter gleich wieder zu vereinen. Ichweiß noch, dass ich an Kip dachte, wie er dort oben irgendwo saß oder vielleicht ja auch weiter im Innern der Stadt, im Loop, auf dem Börsenparkett, wo er lauter imaginäre Zahlen brüllte, rosafarbene Papierstreifen in die Luft warf und unablässig schnelle Handzeichen gab, wie ein hektischer Baseballcoach. Um ehrlich zu sein, hatte ich keine Ahnung, wie sein Job in Wirklichkeit aussah. Aber ich wusste, dass er gerade dabei war, es zu schaffen , sich einen Namen zu machen. Die ganze Strecke an der Gold Coast entlang starrte ich aus meinem Autofenster und dachte: Scheiß auf dich, Kipper . Obwohl Kip mir nie auch nur das Geringste getan hatte. Ich hatte keinen Grund, ihm seinen Erfolg zu verübeln. Ich fuhr weiter nach Nordwesten, durch die endlosen Vorstädte und Mautstellen, bis ich das Flachland von Nord-Illinois erreichte, wo die Erde so glatt und öde wirkt, als wäre sie ein gigantischer, durchs Weltall segelnder Kubus. Nichts durchbricht die Monotonie außer einer riesigen Autofabrik, ein paar Raststätten und einer endlosen Reihe von Starkstrommasten, die die Energie aus Nord- und Süd-Dakota und aus Kanada in die Großstadt Chicago tragen.
    Meine Eltern ließen sich scheiden, nachdem ich die Highschool abgeschlossen hatte. Es war eine recht undramatische Trennung, glaube ich. Soweit ich weiß, hatte es keine Untreue gegeben, keine Drogen, kein Glücksspiel, keine Alkoholprobleme. Keinen der üblichen Gründe. Meine Eltern waren in meinen Augen keine besonders interessanten Menschen. Sie haben sich seit meiner Geburt wohl einfach immer weiter voneinander entfernt. Ich hörte einmal, wie mein Vater in der Garage über das schnurlose Telefon zu meinem Onkel Jerry sagte: »Wir haben uns einfachnichts mehr zu sagen. Wir interessieren uns nicht für dieselben Sachen. Ich weiß nicht mehr, was das Ganze überhaupt noch soll. Keiner von uns ist glücklich.« Während ich also durch die Bars an irgendwelchen abgelegenen Straßen und die Bingohallen des Mittleren Westens tourte, während ich mit meinen verschiedenen Bands die amerikanischen Küsten entlangtingelte oder Westeuropa durchquerte, verkauften meine Eltern das Haus, in dem ich aufgewachsen war, und gingen getrennte Wege. Mein Vater wurde Leiter eines Warenlagers in Arizona und meine Mutter zog zurück in ihre Heimatstadt im nördlichen Minnesota, nahe der Grenze zu Kanada. Dort fand sie einen Job als Sekretärin und Koordinatorin der Sonntagsschule eben jener Kirche, in der sich meine Eltern hatten trauen lassen.
    »Ich brauche nicht mehr viel«, erklärte sie mir. »Ich habe dort ein kleines Haus gekauft, mit viel Platz für einen Garten. Und ich freue mich darauf, lauter bekannten Gesichtern zu begegnen.« Ich stellte sie mir vor, wie sie die Briefumschläge für die Kirchenpost zuklebte und den Bestand an buntem Kartonpapier wieder auffüllte.
    Und mein Vater sagte: »Ich wollte mal eine Weile an einem Ort wohnen, wo es warm ist. Ich habe die Schnauze voll von dieser ganzen beschissenen Schneeschaufelei. Eine warme Gegend. Ich habe ein Apartment in einer Wohnanlage gefunden. Direkt auf der anderen Straßenseite ist ein mexikanischer Imbiss, wo ich jeden Abend essen gehe. Ich trinke Coronas und esse Tacos. Und sie schmecken viel besser als die Tacos, die deine Mutter immer gemacht hat, mit diesen harten Schalen. Du solltest mich mal besuchen kommen. Hier gibt’s sehr hübsche mexikanische Mädels. Dann setzen wir uns an den Pool und trinken ein Bier zusammen.Oder fahren in die Wüste und schauen uns Kakteen an.«
    Und so kam es, dass

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