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Shotgun Lovesongs

Shotgun Lovesongs

Titel: Shotgun Lovesongs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nickolas Butler
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halten. Wenn du Glück hast, dann wird dein eigener Klang von Tag zu Tag komplexer, bis du einen Klangteppich aus Stoffen webst, von denen du gar nicht mehr weißt, dass sie dir gehören oder du sie dir irgendwann mal angeeignet hast.
    Aber als ich dort in diesem Farmhaus wohnte, war ich vollkommen allein – es gab keine anderen Musiker. Ich wohnte zwar mit anderen Menschen zusammen, aber meistens ließen sie mich in Ruhe, damit ich arbeiten konnte. An dem Tag, nachdem ich nach Wisconsin zurückgekehrt war, nachdem ich Bea sechshundert Dollar gegeben hatte, wachte ich mittags auf, während draußen der Regen auf das Blechdach des alten Hauses trommelte. Es war der 1. November. Ich hatte meine Kleider noch nicht ausgepackt. Ich besaß sowieso keine Winterklamotten, hatte seit Monaten keine mehr gebraucht; ich war ja andauernd unterwegs gewesen. Ich öffnete den kleinen Schrank. Drinnen hingen ein paar Kleiderbügel aus Draht und ein abgetragener rosa Morgenmantel, auf dessen Brust links die Initialen BEC gestickt waren. Ich probierte ihn an. MeineSchultern dehnten den alten Stoff fast zum Zerreißen, und meine Knie waren unbedeckt. Ich zog ein paar Jeans, Socken und ein langärmeliges T-Shirt an, wickelte mich wieder in den Morgenmantel und verknotete den rosa Gürtel eng um die Taille. Dann trottete ich die Treppe hinunter.
    Am Küchentisch saßen drei mexikanische Männer mit Tortillas in ihren großen braunen Händen und aßen Huevos Rancheros aus einer gusseisernen Pfanne. Ich hatte sie wohl erschreckt, denn ihr eifriges spanisches Geschnatter verstummte abrupt. Sie hörten alle auf zu essen und starrten mich mit ihren harten schwarzen Augen an.
    Dann ertönte Beas zerbrechliche und dennoch laute Stimme von der umlaufenden Veranda draußen: »Ist schon okay, Jungs. Er wohnt jetzt bei uns.« Da kauten sie weiter.
    Ich stand da, die Hände in den Taschen des rosa Morgenmantels vergraben, betrachtete den Linoleumboden, die Magneten an Beas Kühlschrank und die Sammlung von Porzellanküken, die auf einem Regal über der Küchentür hockten.
    »Setz dich«, sagte einer von ihnen. »Ich bin Joaquin. Das ist Ernesto. Und das da ist Garcia. Komm schon, setz dich. Tortillas?«
    Und so aß ich mit ihnen, schweigend, hörte ihnen zu, wie sie Spanisch sprachen, und spürte den Blick ihrer nachtschwarzen Augen auf mir, wie sie mich prüfend anschauten, mich, ihren neuen Mitbewohner, der im Bademantel einer alten Frau steckte. Das Essen war köstlich. Egal wie deprimiert ich in diesen ersten Monaten war, ich muss durch Joaquins Kochkünste ungefähr acht Kilo zugenommen haben. Die ganzen Bohnen und Tortillas und Menudosuppen und der viele Reis.
    »Entschuldigt mich«, sagte ich und stand auf, als ich fertig war. »Vielen Dank fürs Frühstück.«
    » Almuerzo «, sagte Garcia. »Mittagessen.« Er schüttelte den Kopf.
    Ich ging hinaus auf die Veranda und zog den Morgenmantel enger um mich. Der Regen schlug die Blätter von den Bäumen. All diese herrlichen Farben, die gestern noch den Himmel geschmückt und zum Leuchten gebracht hatten, bedeckten jetzt den Boden – und der Himmel war so grau wie Graphit. Mein Atem stieg dampfend in die Luft. Bea saß in einem Schaukelstuhl und hielt eine Tasse Tee in der Hand.
    »Allein könnte ich hier nicht wohnen«, sagte sie, ohne mich anzusehen. »Die Stille dieses Hauses könnte ich allein nicht ertragen.«
    Ich nickte. Es ließ sich nur schwer sagen, wie alt sie war. Siebzig vielleicht. Oder auch neunzig. Ihre Stimme kiekste ein wenig, wenn sie sprach, aber ihr Tonfall war selbstsicher, klar und bestimmt.
    »Es sieht aus, als wäre es ein vollkommen anderer Ort«, sagte ich. »Die ganzen Farben. Weg.«
    »Wie ist Ihre Musik denn so?«, fragte sie.
    Ich schaute in den Himmel. Die lückenlose Wolkendecke hing tief über der Erde und die Regentropfen fielen wie schwarze Pinselstriche auf das Farmland und die ausgeblichenen braungelben Stiele der stehen gebliebenen Maisstauden.
    »Ich weiß nicht«, sagte ich. »Wie der Winter vielleicht.«
    Sie nickte. »Der kommt schon bald.«
    In den ersten Tagen wanderte ich einfach nur über Beas Anwesen. Ich ging hinaus zur Straße und folgte ihr aufdem Schotter des Randstreifens. Ging über die wartenden Felder, überließ mich der Einsamkeit. Ich wollte meine neue Welt erkunden.
    Nicht weit vom Farmhaus war ein alter Hühnerstall. Er ging nach Süden raus. Der niedrige, enge Raum wurde von einer Reihe kleiner schmutziger Fenster erhellt, die etwa

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