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Shotgun Lovesongs

Shotgun Lovesongs

Titel: Shotgun Lovesongs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nickolas Butler
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ich plötzlich ohne Zuhause dastand. Little Wing war der einzige Ort, den ich wirklich kannte, egal wie lange ich weg gewesen und durch die Welt gereist war. Hier waren alle meine Freunde. Hier konnte ich immer einen Auftritt bekommen, wenn ich neues Material ausprobieren wollte, freitags oder samstags abends im VFW. Ich konnte sogar einfach nur den ganzen Abend Coverversionen spielen. Und auch wenn Henry gerade nicht dort war, wusste ich, dass es nur vorübergehend war – ich wusste, dass er zurückkehren würde. Und Ronny. Irgendwo dort draußen bei einem Rodeo – wer weiß wo –, in Butte oder Bozeman oder Billings, in Las Vegas oder Laramie oder Las Cruces. Ich hatte es im Gefühl, dass auch Ronny eines Tages wieder da sein würde.
    Denn Ronny war der erste Einwohner von Little Wing gewesen, der es zu Berühmtheit gebracht hatte. Ich kann mich noch genau an den Freitagabend erinnern, an dem er im VFW im Fernsehen zu sehen war. Die Bar platzte aus allen Nähten, die ganze Stadt war gekommen. Ronny sollte einen Stier namens Texas Tornado reiten. Er hatte sich seinen riesigen schwarzen Cowboyhut fest in die Stirn gezogen. An Ronny war eigentlich alles fest. Die Muskeln an seinen Unterarmen schwollen auf geradezu groteske Weise an, während sich der Stier unter ihm in dem Verschlag ungeduldig aufbäumte. Sein Gesicht war so scharf gemeißelt, wirkte so unendlich konzentriert. Seine Bluejeans waren so eng, als hätte man sie direkt um seine Schenkel genäht, und direkt über seinem Schritt saß eine riesige silberne Schnalle, wie der Siegesgürtel eines Schwergewichtschampions. Genauso gut hätte er sich auch ein Schilddorthin hängen können, mit einem großen Pfeil darauf und den Worten: Hier hängt der größte Schwanz der Welt.
    Als das Gatter des Verschlags dann aufsprang und sich in die schlammbraune Arena von Amarillo, Texas, öffnete, hielten wir alle die Luft an. Und dann feuerten wir ihn an. Mein Gott, haben wir ihn angefeuert – die ganze Stadt gegen diesen einen Stier –, alle schrien, verschütteten ihr Bier, sprangen auf und ab und drängelten sich aneinander, und Ronny – dieser Teufelskerl – hielt sich dort oben fest, mit aller Kraft, eine Hand hoch in die Luft gehoben, als fordere er Applaus, die andere fest wie ein Schiffstau im Stier verankert. Die silbernen Sporen glänzten, der schwarze Hut sprang in den Sand, die v-förmigen Hufe trommelten in der Luft und der Rotz des Stiers sprühte durch die Gegend. Acht Sekunden zum Ruhm. Und als einer der Rettungsreiter ihn schließlich von diesem Stier herunterholte, da brüllten wir vor Begeisterung so laut, dass die Wände wackelten. Mein Gott, war ich stolz auf ihn. Und Ronny lupfte elegant den Cowboyhut aus dem Staub und verbeugte sich dann vor der Menge, wie ein wirklicher echter Cowboy – ein amerikanischer Matador. Dann sprang er über einen Zaun neben der Koppel und wartete auf seine Wertung.
    Er gewann damals dieses Rodeo. Er bekam ein Preisgeld von fünftausend Dollar und eine neue glänzende Gürtelschnalle, und jeder in Little Wing dachte, Scheiße, Mensch, Ronny Taylor ist ein reicher Mann! Ronny ist ein verdammter Fernsehstar!
    Ich wollte auch haben, was er hatte. Ich wollte, dass mich bei meiner Rückkehr nach Little Wing die Mädels aus der Highschool, Mädels wie Beth, im VFW umringten und mir die Zungen ins Ohr steckten, mir sagten, wie herrlichund einzigartig ich war, dass sie Kinder von mir haben wollten, dass sie sich wünschten, ich würde sie in dem Motel zwischen Little Wing und Eau Claire an einen Bettrahmen fesseln. Das Motel hatte nur acht Zimmer, und als Teenager fuhren wir dort manchmal hin, um Marihuana zu rauchen. Manchmal mieteten sich auch zwei Jungs und zwei Mädchen zwei Betten und brachten zwei Flaschen Whiskey mit und dann verschwamm oft jegliche mathematische Zuordnung – die Treue zu dem einen Bett oder dem einen Liebhaber wurde fließend oder verschwand völlig, und manchmal waren es drei und manchmal auch alle vier, in einem Bett oder auf dem Boden, sechzehn Arme und Beine ineinander verflochten, und am Morgen zu viele Menschen für ein kleines Motelzimmer und längst nicht genügend Handtücher.
    Ich fuhr durch Süd-Wisconsin, an Madison und Dells vorbei, immer weiter Richtung Norden. Die Espen erstrahlten in einem so tiefen Gelb, dass man tatsächlich meinen konnte, sie gäben einen Ton von sich, wenn sie von einem Sonnenstrahl getroffen wurden, einen unendlich hohen Ton, der so rein und klar war, dass

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