Shotgun Lovesongs
Moment. Ich hatte Angst, mich zu übergeben, Angst, ich könnte meine Zähne so fest zusammenbeißen, dass irgendetwas brach. Ich wusste, was jetzt kommen würde. Ich hatte es nicht kommen sehen, aber als sie diesen Satz gesagt hatte, da wusste ich genau, was mich erwartete.
»Vielleicht ja auch nicht«, sagte sie nonchalant und schob ein einzelnes Salatblatt auf ihrem Teller herum. Ihre Gabel machte ein hohes, scharfes Geräusch auf dem Porzellan, wie wenn man mit einem Fingernagel über verrosteten Stahl kratzt.
»Ich war ja noch nie verheiratet, verstehst du?«
Sie sagte das »war« in einer Weise, wie sie auch ihre Filmtexte sprach. Eine gewisse Affektiertheit, eine Prise Stress und schon klingt ein beiläufig hingeworfenes Wort so, als bedeutete es alles nur Menschenmögliche. Plötzlich klang dieses »war« wie eine Gefängnisstrafe, ein Verbrechen, ein vom Krieg verwüstetes Land, ein früheres Leben. Ich wusste, dass sie in zwei Wochen nach Vancouver fliegen würde, für die Dreharbeiten zu einem neuen Film. Wir hatten geplant, dort zusammen ein Apartment zu mieten. Ich hatte mich darauf gefreut, an einem ganz neuen Ort meine Musik zu schreiben, oder es zumindest zu versuchen. Nicht in Wisconsin, nicht in New York, sondern an einem vollkommen anderen Ort.
»Wir sind jetzt gerade mal vier Monate verheiratet«, sagte ich und schluckte.
Ich kannte in Little Wing Menschen, die waren seit einem halben Jahrhundert verheiratet.
»Es fühlt sich wie eine Ewigkeit an«, sagte sie und betrachtete das beleuchtete Display ihres Telefons. »Verstehst du?«
»Nein«, sagte ich, »ich verstehe nicht. Ich tappe völlig im Dunkeln, Scheiße nochmal.«
In diesem Augenblick wusste ich, dass sie mir das Herz brechen würde.
»Hör zu«, sagte sie. »Ich glaube, ich schlafe heute Nacht mal bei Jenna. Lass uns morgen einen Kaffee trinken gehen, okay?«
Ich beugte mich über den Tisch und flüsterte: »Chloe, wir sind verheiratet. Wir schlafen nicht in getrennten Betten. Wir schlafen nicht in den Wohnungen anderer Leute.« Ich nahm ihre Hand. Ich nahm ihre Hand sehr fest, so fest, dass man es längst nicht mehr sanft nennen konnte. Ich nahm ihre Hand fast so fest, als hinge sie über einem Abgrund, aus dem Fenster eines Hauses. »Chloe?«
Sie schaute mich an. Schaute auf meine Haare, meinen struppigen Bart, meine langen Ohren, auf die Tattoos, auf meine Haut. Ich kenne diesen Blick. Ich kenne meinen Körper. Ich bin kein Filmstar, ich sehe nicht wie Ronny oder Henry aus – mächtige Kerle aus dem Mittleren Westen, lauter Muskeln und tapfer in Rodeoreitersonnenlicht und schwarzen Lehm getauchte Hände. Ich habe mit mehr Frauen geschlafen, als ich zählen kann, aber diesen Blick kenne ich nur zu gut.
Frauen denken, sie könnten sich in dich verlieben, weil du den ein oder anderen guten Song geschrieben hast, weil du es geschafft hast, einen Nerv zu treffen, einen wunden Punkt im Fühlen der Menschen, über den die meisten sich keine Mühe machen nachzudenken. Weil du ein scheiß Liebeslied schreiben kannst. Weil du berühmt bist. Undeine Nacht lang verströmst du dann so ein goldenes Glänzen. Ich habe es überall in der Welt verströmt. Ich habe für Frauen geglänzt, deren Name Sie zum Erröten bringen würde, so wunderschön und berühmt sind sie. Ich habe meinen goldenen Schein über zwei, drei, vier Frauen gleichzeitig ausgegossen. All ihre Münder auf meiner Haut, ihre Zungen. Aber auf der anderen Seite kann ich genauso wenig zählen, wie oft diese Frauen dann wieder verschwunden waren, noch bevor ich morgens aufwachte, bevor ich mit meiner morgendlichen Dusche fertig war. Ganz plötzlich, nachdem sie dich verschlungen, dich aufgebraucht haben, nachdem sie dir deinen gesamten Schutzpanzer und deine Privatsphäre vom Leib geschält haben, sehen sie dich nur noch als einen ganz durchschnittlichen, stinknormalen Typen. Einen stinknormalen weißen Typen aus einer Kleinstadt in Wisconsin.
»Wart ihr schon mal in Wisconsin?«, fragte ich sie manchmal. »Das ist der schönste Ort auf der ganzen weiten Welt. Riesige Seen, ausgedehnte Wälder, sanfte Hügelketten und dann noch der Mississippi.«
»Ist das in der Nähe von Montana?«, fragten sie dann. »Das klingt nämlich ganz wie Montana.«
»Nein«, antworte ich ihnen, »das ist nördlich von Chicago.«
Es war schon erstaunlich, wie viele von ihnen nicht in der Lage waren, auf einer Landkarte von Amerika die Stadt Chicago zu finden, selbst dann nicht, wenn man ihnen
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