Shotgun Lovesongs
sagte, dass es in Illinois an einem der großen Seen liegt.
Zwei Wochen nach diesem Abendessen las ich in der Zeitung Gerüchte über meine eigene Scheidung. Ich mied die Außenwelt. New York ist nicht meine Stadt und war es auch nie. Ich habe mich dort nie wohlgefühlt. Die Geschwindigkeit,mit der alles passiert, die vielen Lichter, das Diktat der Mode, des Geldes. Und nach der Trennung mochte ich die Stadt noch viel weniger. Ich konnte nirgendwo hingehen, ohne dass mir eine Meute Fotografen folgte und mich mit persönlichen Fragen bedrängte, auf die ich keine Antwort wusste. »Was ist passiert? Wo ist Chloe? Wo wohnt sie jetzt? He! He, Corvus!« Das Gute daran, dass unsere Ehe so schnell zerbrach, war, dass es kein Haus gab, das ich hätte verkaufen müssen, und auch nicht besonders viele Dinge, mit denen ich umziehen musste. Ich mietete einen Umzugswagen, parkte vor dem Gebäude, in dem wir wohnten, und nahm letztendlich nur eine Couch, einen Ledersessel, den neuen Fernseher, meine Bücher, Gitarren und das Bild mit, das Kip und Felicia »uns« zur Hochzeit geschenkt hatten. Ich zahlte irgendeinem Gammler fünfzig Dollar, damit er mir beim Tragen der schweren Sachen half; ich hätte ja lieber einen Freund um Hilfe gebeten, aber in New York hatte ich keine echten Freunde. Alle unsere Freunde waren in Wirklichkeit Chloes Freunde gewesen. Ich ließ dreitausend Dollar in bar auf dem Küchentisch liegen, zusammen mit einem Zettel, auf dem ich ihr mitteilte, sie möge sich an meinen Anwalt in Little Wing wenden, wenn sie etwas von mir wolle. Die Telefonnummer, die ich ihr aufschrieb, war die von Eddy Moffitt. Er mochte zwar im eigentlichen Sinn kein Anwalt sein, aber ich wusste, dass er eine derartige Situation mit Aplomb und Humor regeln würde. Und ich war mir ziemlich sicher, dass Chloe sich nicht an Eddy erinnern würde, obwohl ich ihn ihr bestimmt mehr als einmal vorgestellt hatte.
Nachdem ich das Gebäude zum letzten Mal verlassen hatte, blieb ich auf dem Bürgersteig stehen, rauchte eineZigarette und warf einen letzten Blick auf die Stadt. Der Portier verließ seinen Posten, stellte sich neben mich und sagte dann, als hätte er mich nie zuvor gesehen: »Sir, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie dort drüben rauchen könnten.« Er zeigte mit einem weißbehandschuhten Finger auf eine Gasse voller überquellender Müllcontainer, dicken braunen Pfützen und nassem Zeitungspapier.
»He, Tino. Ich bin es«, sagte ich. »Lee. Chloes Ehemann. Wissen Sie noch?«
Er verschränkte die Arme vor der Brust und starrte mich mit gerunzelter Stirn an.
Ich trat meine Zigarette vor ihrem Haus aus, spuckte auf die Straße und sagte: »He, Tino! Die Yankees sind die letzte Scheiße.«
Ich bewunderte die versteckte Geste, mit der es ihm gelang, sich in den Schritt zu fassen und mir dann den Mittelfinger zu zeigen, mitten auf der Straße, in seiner marineblauen Portiersuniform aus samtähnlichem Stoff; und das alles mit der Eleganz, Anmut und Arroganz eines echten Angehörigen der New Yorker Arbeiterklasse.
Die Leute fragen mich immer, was der Titel jenes ersten Albums zu bedeuten hat, und ich habe Dutzenden verschiedener Zeitschriften Dutzende unterschiedlicher Geschichten erzählt und dabei versucht, meine Lügen jedes Mal so echt wie möglich klingen zu lassen. Ich habe den Leuten erzählt, es sei eine Hommage an Guns n’ Roses. Ich erzählte ihnen, es ginge um einen Selbstmord, der drei Orte weiter passiert sei; jedes Mal variierte ich die Anzahl der Orte, die dazwischen lagen, und auch die grobe Richtung, in die der betreffende Journalist für seine Recherchen zu fahren hatte. Ich habe den Leuten erzählt, es ginge indem Album darum, dass man mir das Herz gebrochen hatte – und das kam der Wahrheit wohl noch am nächsten. Sie stellten Fragen zu den einzelnen Songs und zu meinem Arbeitsprozess. Ich kann ehrlich behaupten, dass ich zu keinem einzigen meiner Fans jemals grob oder unhöflich geworden wäre, zur Presse vielleicht, aber niemals zu meinen Fans. Ich empfinde es verdammt noch mal als ziemliches Glück, es geschafft zu haben, ich bin sehr dankbar dafür, mich einen professionellen Musiker nennen zu können. Aber ich rede nicht besonders gerne über dieses erste Album, denn als ich es damals aufnahm, steckte ich in einer ziemlich düsteren Phase.
Die Lage war folgende gewesen: Nachdem aus diesen ersten Bands nie etwas geworden war, nachdem wir uns getrennt und unserer Wege gegangen waren, kam ich zurück nach
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