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Shotgun Lovesongs

Shotgun Lovesongs

Titel: Shotgun Lovesongs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nickolas Butler
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ich nur schwer die Augen offen halten konnte; es war wie der Klang eines göttlichen Schwerts, das durch die Luft schnitt. Und das Rot der Ahornbäume war genauso kräftig wie die Herzen, die wir in der Grundschule immer ausgemalt hatten, diese Papierherzen, die wir mit unseren Buntstiften so leidenschaftlich bearbeiteten, um sie dann unseren Müttern zu schenken. Ich fuhr schneller. Ich schämte mich, nach Hause zu kommen, ohne etwas in Händen zu halten, ohne etwas vorweisen zu können, es war mir peinlich, kein Superstar zu sein, und dennoch war ich unendlich froh heimzukehren.
    Ich hielt am Supermarkt, um mir zur Feier des Tages ein Sixpack zu kaufen, und dort sah ich einen Zettel, auf dem jemand mit zittriger Handschrift ein Zimmer in einem Farmhaus für eine lächerlich niedrige Miete von hundert Dollar im Monat anbot. Daneben standen eine Telefonnummer und eine Adresse, die an einer der Landstraßen lag. Ich hatte ungefähr viertausend Dollar in bar zusammengespart, von unseren Auftritten und auch von ein paar Gelegenheitsjobs, die ich während unserer Tourneen hier und da angenommen hatte. Außerdem konnte ich, wenn es wirklich hart auf hart kam, auch mein Auto verkaufen, einen ziemlich heruntergekommenen hellblauen AMC Gremlin. Ich wählte die angegebene Nummer und machte ein Treffen mit der Vermieterin aus, einer ganz offensichtlich schon etwas betagteren Dame namens Bea Cather.
    Sie schien mich sofort zu mögen, aber vielleicht war sie ja auch einfach nur einsam und freute sich über jeden Besuch. Sie lud mich zum Mittagessen ein – Thunfisch-Sandwiches, alte Kartoffelchips, selbstgemachte Essiggurken und Milch. Wir saßen an ihrem Küchentisch und schauten auf einen großen Hinterhof, der in endlose Maisfelder überging. Alle paar Meter waren Nistkästen und Futterhäuschen für die Vögel angebracht und der ganze Hinterhof quoll über von kitschigem Dekor wie Gartenzwergen und blauvioletten Kugeln, die das Licht reflektierten.
    »Ich könnte den Rasen da für Sie mähen«, bot ich an.
    »Oh, das ist sehr nett von Ihnen, aber darum kümmert sich Joaquin schon.«
    »Joaquin?«
    »Einer meiner anderen Mieter.«
    Ich hörte Schritte im Raum über uns und das leise Geräusch eines Radios.
    »Wie viele andere Mieter wohnen hier denn noch?«
    »Im Augenblick drei. Vier, wenn Sie mich mitzählen. Und der Hund.«
    »Das klingt jetzt vielleicht etwas seltsam«, sagte ich, »aber … ich habe keine Möbel.«
    »Machen Sie sich keine Sorgen, Herzchen, das Zimmer, das ich noch übrig habe, ist möbliert. Es ist zwar nicht besonders viel, aber es müsste reichen.«
    »Oh, und ich würde gerne im Voraus bezahlen. Für sechs Monate. Ist das okay?«
    Ich zog ein Bündel Geld aus der Tasche, zählte sechs Hundertdollarscheine ab und legte sie auf den Tisch.
    Bea hob eine weißhaarige Augenbraue und sah mich über den Rand ihrer Lesebrille hinweg an. »Sie sind doch nicht etwa einer von diesen Leuten, die heimlich Meth kochen, oder? Ich kann hier keine Drogenhändler gebrauchen.«
    »Nein«, sagte ich. »Ich bin Musiker.«
    Das Beste am Herumtouren, an den Festivals und den vielen neuen Städten ist, dass man andere Musiker kennenlernt. Ich bin jetzt an einem Punkt angelangt, wo ich zum Telefon greifen, mein Label oder meinen Agenten anrufen und sie nach der Nummer von so ziemlich jedem fragen kann. Ich habe die Nummer von Bob Dylan auf einem Zettel, den ich in meinem Studio an die Wand geklebt habe. Es steht nur BOB drauf, und dann noch ein paar Zahlen. Aber es ist nicht so, als hätte ich ihn tatsächlich schon mal angerufen. Ich habe irgendwie Angst davor. Ich habe Angst, er könnte nicht wissen, wer ich bin, aber es ist mir auch ein bisschen peinlich, dass es mir so wichtig ist, dass er meinen Namen kennt. Für den Augenblick reicht es mir einfach,den Zettel dort hängen zu haben, zu wissen, dass ich ihn anrufen könnte , wenn ich es wollte. Für mich fühlt sich das so ähnlich an, als hätte ich eine direkte Leitung zu Gott. Aber vielleicht sollte ich ihn ja irgendwann doch mal anrufen. Er ist hier in der Nähe aufgewachsen. Minnesota liegt sozusagen gleich um die Ecke.
    Aber was ich damit sagen will: Es kann ziemlich großartig sein, so viele andere Musiker um sich herum zu haben – man wird die ganze Zeit mit neuen Ideen und neuen Klängen bombardiert. Wenn du willst, kannst du dich jeden Tag mit jemandem zusammentun und verrückte Ideen mit Leuten ausprobieren, die diese Ideen in keiner Weise für verrückt

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