Showdown
seiner Bürger weit weg in seiner Heimat hören, wenn ihm die Posaunen der Lobbyisten vor Ort Tag für Tag in den Ohren klingen. Und warum sollte er – abgesehen von möglichem Ehrempfinden und Loyalität gegenüber dem Volkssouverän – überhaupt darauf hören wollen und sich mit den charmanten und einflussreichen Industrievertretern anlegen? Ist doch viel bequemer, mit ihnen beim Abendessen zu scherzen und gemeinsam auf Reisen zu gehen, als immer nur von ihnen ignoriert und hämisch belacht zu werden, während sie mit den Kollegen von der anderen Partei an den vollen Tischen feiern. Man ist ja auch längst befreundet, die Frauen gehen gemeinsam einkaufen, und am Wochenende wird gegrillt. Dass da schon mal ein Interessenkonflikt entsteht, damit kann man umgehen, oder nicht? Leicht macht es einem die Lobby keineswegs. Wie sagte ein einflussreicher Lobbyist so schön: »Die erste Einladung in exklusive Restaurants und Clubs bekommt der Abgeordnete auf jeden Fall. Will er auch weiterhin dazugehören und nicht von den schönen Veranstaltungen mit hochkarätigen Wirtschaftsleuten an teuren Orten ausgeschlossen sein, muss er liefern.« Das heißt übersetzt, er muss bei den Abstimmungen an der richtigen Stelle die Hand heben, die richtigen Türen zu noch wichtigeren Entscheidern – gerne zu Ministern – aufstoßen und in vielerlei Hinsicht zu verstehen geben, dass er sich für die netten Einladungen revanchiert.
Besonders dreist wird es oft nach der Abgeordnetenkarriere. Da wird der ehemalige Abgeordnete direkt nach seiner Amtszeit zum »Berater« des Konzerns, über dessen Themen er während seines Dienstes beschlossen hat. Die Drehtür zwischen Parlament und Industrie dreht sich so schnell, dass man den Windzug spürt. So ist der Abgeordnete oft schon während seiner Amtszeit um ein gutes Verhältnis zur Industrie bemüht, lockt doch bei entsprechendem Wohlverhalten ein gutbezahlter Anschlussjob. Das betrifft keineswegs ausschließlich die Abgeordneten. Die Gesetze werden ja in der Regel in den zahllosen Büros der EU -Kommission vorbereitet und geschrieben. Dort werden die ehemaligen Beamten zunehmend durch Mitarbeiter ersetzt, deren Beschäftigungszeit auf wenige Jahre befristet ist. Hier hat die Lobby einen großen Hebel anzusetzen. Denn diese Mitarbeiter sind froh über Einladungen und fachlichen Rat. Und der sieht auch gerne mal so aus, dass ganze Gesetzentwürfe von den Industrievertretern vorgeschrieben und vom dankbaren Kommissionsmitarbeiter eins zu eins übernommen werden. Spart Arbeit und macht Freunde, die man bei einer späteren Jobsuche gut gebrauchen kann.
Aber auch andersherum funktioniert die Drehtür. Nur ganz knapp und durch großen öffentlichen Druck konnte verhindert werden, dass 2012 eine hochrangige Lobbyistin der wohl größten Lobby-Organisation der Lebensmittelindustrie, FDE (FoodDrinkEurope), zum Vorstand der EU -Lebensmittelbehörde EFSA ernannte wurde. Der »Spiegel« berichtete, dass Mella Frewen, die Chefin dieser Lobbyorganisation, von der EU -Kommission selbst für das Amt in der EU -Lebensmittelbehörde vorgeschlagen worden war. Um ein Haar wäre eine Frau, die jahrelang für den umstrittenen Agrarkonzern Monsanto an den Beziehungen zwischen diesem US -Konzern und Regierungen in Europa gearbeitet hatte, in der EU für die Zulassung von gentechnisch verändertem Saatgut verantwortlich gewesen. Zum Glück haben sich aufgrund der großen öffentlichen Aufregung das EU -Parlament wie auch Deutschlands Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner gegen diese Kandidatin ausgesprochen. In anderen Fällen funktionieren solche Transfers ohne große Öffentlichkeit reibungsloser. Aber bei allen Zornesfalten zeigt eben genau dieses Beispiel, dass noch nicht alles verloren ist. Dass dort, wo die Bürger sich einmischen, auf die Finger schauen und, wenn es sein muss, auch auf selbige klopfen, die Interessen der Gesellschaft sehr wohl Berücksichtigung finden. Das sollte uns ermutigen, uns hier viel stärker einzubringen.
Wie dreist es in Brüssel zugehen kann, wenn niemand hinsieht, zeigt in dramatischer Weise der Fall Ernst Strasser. Strasser war einst Innenminister Österreichs, bevor er im Zuge der Europawahl 2009 in das Europäische Parlament einzog. Dort hat er sich nach eigenen Angaben, die er ungeschickterweise gegenüber Undercover-Journalisten der britischen »The Sunday Times« äußerte, schnell darangemacht, ein Netzwerk aufzubauen und selbst als Lobbyist tätig zu sein. Eine
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