Showdown
stärken, die eine solche realistische und positive Vision mitbringen, und wir müssen mit ihnen gemeinsam diese Vision gestalten. Wie soll dieses Europa aussehen? Bereits heute lassen wir uns von einer Vision umtreiben, aber das ist eine Horrorvision. Wir sehen ein Europa, das keine demokratischen Strukturen besitzt. Dessen Abgeordnete nur aufgrund ihrer Parteizugehörigkeit weitgehend anonym und von den europäischen Bürgern unbeobachtet alle möglichen Dinge entscheiden, von denen wir nicht wissen, ob sie gut oder schlecht sind. Wir bekommen nur mit, wenn mal wieder eine Skandalentscheidung wie das Glühlampenverbot für uns Bürger direkt und spürbar durchgreift. All die kleinen Gemeinheiten, die wir am Ende nur indirekt spüren, werden oft gar nicht wahrgenommen. Ich möchte hier nicht die Abgeordneten Europas pauschal verteufeln. Ich weiß aus vielen Gesprächen, dass es dort auch sehr engagierte Menschen mit einer ganz großen Begeisterung und mit Verantwortungsgefühl für das Jahrtausendprojekt Europa gibt. Aber das genügt nicht. Die Versuchungen für die vielen Schwachen sind zu groß. Die Lobbyorganisationen der Industrie und aller möglichen Einflussgruppen haben ein solches Ausmaß angenommen, dass eine unabhängige politische Arbeit im Sinne der Bürger Europas oft kaum mehr möglich ist.
Von der Geburtsstunde der Europäischen Union an waren die Lobbygruppen mit am Tisch gesessen. Einige gehen sogar so weit zu behaupten, es wäre eine große Industrielobby namens ERT (European Round Table) gewesen, die die eigentlichen Gründungsväter der EU im Sinne eines industriefreundlichen europäischen Binnenmarkts waren. Eine solche Sichtweise überzeichnet die wahren Ereignisse sicher stark, ein großer Einfluss des ERT auf die europäische Politik kann aber als gesichert angenommen werden. Dieser ERT hatte sich 1983 als elitärer Club der größten europäischen Unternehmenslenker gegründet. Es waren so einflussreiche Männer wie der Volvo-Chef Pehr Gyllenhammar, die Vorstände von Philips (Wisse Dekker) und Fiat (Umberto Agnelli), die sich zusammengeschlossen hatten mit dem erklärten Willen, Europa in ihrem Sinne zu formen. Dazu gehörte als oberstes Ziel ein gemeinsamer europäischer Binnenmarkt. Heute gehören dieser wohl mächtigsten Brüsseler Lobbyorganisation 50 Vorstände der größten europäischen Unternehmen an. Es sind jeweils die Top-Vertreter von Unternehmen wie BASF , Telecom Italia, Nestlé, Norsk Hydro, ThyssenKrupp, TOTAL , ABB , Siemens, GDF Suez, Deutsche Telekom, BMW , SAP , BP , E. ON und so weiter.
Welchen Einfluss eine solch hochkarätige Gruppierung auf die europäischen Politiker haben kann, ist leicht vorstellbar. Dass dieser Gruppe ganz andere Türen offenstehen als einer gewöhnlichen Verbraucherschutzorganisation, dürfte keine allzu gewagte Annahme sein. Angeblich sollen die Lissabon-Verträge, die eine große Stärkung der Industrie und eine »Flexibilisierung« der Arbeitsmärkte – andere sprechen von aggressivem Sozialabbau – ermöglichten, ebenso auf die Initiativen dieses ERT zurückgehen wie die Planung und der Bau des Euro-Tunnels.
Zunächst ist es gut, dass es eine solche Gruppe von Menschen gibt, die versucht, etwas voranzubringen und die friedliche europäische Einigung voranzutreiben. Problematisch wird es erst dann, wenn sie das nicht mehr aus Altruismus, also Uneigennützigkeit im Sinne einer besseren Gesellschaft tut, sondern ihren eigenen wirtschaftlichen Profit in den Vordergrund rückt. Dass bei allem persönlichen Edelmut, den der eine oder andere Teilnehmer sicherlich mit an Bord haben wird, sich ebenjener Profitgedanke im Laufe der Zeit in den Vordergrund schiebt, wäre leider nur allzu normal. Fakt ist, dass der ERT in unzähligen wichtigen EU -Gremien vertreten ist. So kommen viele Gesetzesinitiativen auf Anraten und gerne auch Nachdruck der Lobbyverbände zur Diskussion auf Regierungsebene. In der Tat erscheinen einem viele gebetsmühlenartig gepflegte EU -Themen sehr einseitig industriefreundlich. Euro-Einführung, Abbau des öffentlichen Dienstes, Privatisierung, Aufbrechen des Arbeitsmarkts, Globalisierung und so weiter. Gut für die Industrie heißt aber eben nicht gleichzeitig gut für den Bürger und die Gesellschaft.
Der Zweck des ERT war nach eigenem Selbstverständnis von Beginn an die Schaffung eines großen, industriefreundlichen Wirtschaftsraums in Europa. Prinzipiell muss man das nicht negativ sehen. Ganz im Gegenteil ist es
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