Showtime! (German Edition)
und sprach es nicht aus, weil sie solche Dinge noch niemals hatte aussprechen können. Stattdessen verschränkte sie trotzig die Arme vor der Brust und fragte sich, ob Ginger überhaupt noch wusste, durch welch knallharte Schule sie sie hatte gehen lassen. Und ob sie überhaupt je auch nur einen Funken Mitgefühl für ihre Mädchen gehabt hatte, wenn sie sie wissentlich im Milieu ‚Erfahrungen' hatte sammeln lassen.
Ginger ließ sich von dem rebellischen Ausdruck in Georgias Augen nicht mehr provozieren. Sie kehrte zu ihrem Platz am Schreibtisch zurück, die Zigarette wurde geflissentlich im Aschenbecher vernichtet. «Du bist geschäftstüchtig. Du hast deine Qualitäten» räumte Ginger ein, «das hat mich dazu gebracht, dich wieder für mich arbeiten zu lassen.» Ihre Gelassenheit begann ein wenig zu wanken, als sie abschließend hinzufügte: «Ich gebe dir die Chance, mehr Geld zu verdienen, als du mit deiner lächerlichen Schauspielerei je verdienen würdest, und das solltest du verdammt noch mal mehr zu schätzen wissen! - Beiß' nicht die Hand, die dich füttert, Joanna. Das wäre sehr dumm.» Mit einem Wink gab sie ihr zu verstehen, dass die Audienz beendet war, und Georgia erhob sich. Sie ließ es sich nicht nehmen, im Vorbeigehen nach klassischer Theatermanier einen imaginären Hut zu ziehen, auf den Lippen ein verächtliches Lächeln. «Adieu, Cherié. Ich bin sicher, eines Tages wird dir noch für dein humanitäres Engagement das Bundesverdienstkreuz verliehen.»
Als sie auf den Empfang zusteuerte, klingelte dort das Telefon.
«Agentur Lafayette, einen Augenblick Geduld bitte, ich bin gleich wieder für sie da» meldete sich die Telefonistin charmant und betätigte einen Knopf. Sie reichte Georgia einen Zettel mit Terminen, wies auf eine der Türen im Flur und flüsterte in Verschwörerton: «Wir kriegen die Videoanlage fürs Internet, wie findest du das? Du, Tatjana und Josie, ihr sollt vor der Kamera strippen. -- Die Ausstattung kostet die Agentur ein Vermögen, das müsst ihr alles wieder reinholen!»
«Wie denn, strippen ohne Livepublikum?» flüsterte Georgia zurück. «Wie öde!»
«Nur du, ein Mädchen am Computer und ein Kunde am PC, der dir per Chat sagt, was du machen sollst.»
«Scheißidee.»
«Kohle, Joanna, das lässt sie sich natürlich nicht entgehen.» Sie schaltete sich wieder in die Telefonleitung, als Georgia ging: «Hallo, was kann ich für Sie tun? ... Selbstverständlich. Darf ich erfahren, welchen Typ sie bevorzugen?»
***
Sabrina hatte sich gefreut, als Georgia unerwartet anrief und sie auf einen Spaziergang einlud.
Die Wohnung blitzte und blinkte vor Sauberkeit und konnte bereits als staubkörnchenfreie Zone betitelt werden. Der Schreibkram, den sie sich aus dem Büro mitgenommen hatte, war längst erledigt und im Aktenkoffer verstaut. Es gab nichts mehr zu tun. Jürgen saß seit Stunden stumpfsinnig vor dem Computer, und das Wetter war zu schön, um den Tag daheim mit Langeweile und engstirnigen Diskussionen zu verbringen.
Treffpunkt war ein Park in Schöneberg. Georgia war mit dem Fahrrad gekommen und erwartete sie leger in pink-schwarzem Adidas-Outfit, das Haar zum Pferdeschwanz gebunden, keine Schminke im Gesicht, nur Sonnenbräune und ein herzerfrischendes Strahlen. Wie eine Athletin sah sie aus. «Hallo Schönheit! Ich freu mich, dich zu sehen!»
«Georgia! Ich freu mich auch. Toll siehst du aus!»
Sie umarmten sich kurz, und Georgia nahm sie bei der Hand, ganz selbstverständlich, als seien sie ein Paar. «Klasse, dass du kommen konntest.»
Zum zweiten Mal waren sie allein. Die Sonne schien, und der Duft der herrlichen Blütenpracht im Park nahm ihnen bald den Atem. Es war ein wundervoller Frühlingstag.
Sie plauderten ungezwungen miteinander, während sie durch die Anlage schlenderten, und Georgias in Gesellschaft so allgegenwärtiges Faxenmachen hielt sich in Grenzen. Gelegentlich tänzelte sie rückwärts vor ihr her, während sie redete. Die Gesprächsthemen häufiger wechselnd als rot und grün an einer Ampel, gestikulierte sie dabei wie eine temperamentvolle Neapolitanerin und strahlte wieder diese ungemeine Lebensfreude aus, die ihr Sabrina so geneidet hatte.
An dem, was Sabrina so tat, in der Freizeit, während der Arbeit, eigentlich in jeder Lebenslage, war sie äußerst interessiert. Sie gab ihr das Gefühl, mindestens so wichtig und interessant zu sein wie ein Mitglied der VIP-Gesellschaft und hörte ihr
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