Shutdown
Chefredakteur, will die neuen Statistiken nicht«, ergänzte Nausikaa. »Big Brother, sagt er.«
»Hitchcock, hört sich ja spannend an«, lachte Jen. »Big Brother ist hier doch überall. Warum wurde die Software trotzdem entwickelt?«
Tom zuckte verächtlich die Achseln. »Demokratie. Hitchcock wurde überstimmt, als er einmal kurz nicht aufpasste. Die neuen Reports liefern eben auch bessere Informationen über das Verhalten von Kunden und Besuchern unserer Webseiten. Daran sind viele Leute interessiert.«
»Verstehe.«
Sie leerte den Becher, warf ihn aus fünf Fuß Entfernung in den Eimer, wie es hier dem Standard entsprach, und trottete nachdenklich zum Arbeitsplatz zurück.
»Danke für die Aufklärung«, rief sie über die Schulter, bevor sie im Cubicle verschwand.
Sie wusste immer noch nicht, wie sie die gesuchten Daten beschaffen wollte, ohne entdeckt zu werden, aber die Unterhaltung am Wasserloch erleichterte möglicherweise ihre Planungsaufgabe. Nachdem sie sich eine Stunde mit der Geschichte des unseligen Projekts in der Archivdatenbank beschäftigt hatte, vor allem aber mit Jo Hitchcocks unrühmlicher Rolle, stand sie auf. Sie holte die paar ausgedruckten Blätter und machte sich damit auf den Weg zu Marthas Büro. Unterwegs bemühte sie sich, das zufriedene Grinsen in ihrem Gesicht durch den professionell gestressten Ausdruck des Experten zu ersetzen, wie Jezzus ihr eingeschärft hatte. Martha saß bei offener Tür am Computer. Jen klopfte und trat ein.
»Haben Sie eine Minute?«
»Schon fertig?«, lächelte Martha.
»Nicht ganz, aber ich könnte mir vorstellen, wie das Veto der Online Redaktion diesmal zu verhindern wäre.«
Martha bemerkte die Spitze sehr wohl, sagte aber nur:
»Lassen Sie hören.«
Jen breitete die ausgedruckten Blätter vor ihr aus. »Ich bin überzeugt, dass es nicht an der Software-Qualität liegt«, erklärte sie dazu. »Die Kollegen bestätigen das. Der Releasewechsel wird im Grunde nur von Mr. Hitchcock verhindert.«
»Hitch!«, fauchte Martha verächtlich.
»Wie ich höre, warten die übrigen Redakteure auf die neuen Funktionen. Das müsste man allerdings noch verifizieren.«
»Kann sein. Und – was ändert das?«
»Wir könnten den entscheidenden Test und das Go / No-Go eine Woche vorverlegen.«
»Kommt nicht infrage!«, rief sie entrüstet. »Der Meilenstein ist schon zweimal verschoben worden. Was glauben Sie, wird Sergei mit uns machen, wenn die Planung schon wieder ändert?«
Jen brauchte es nicht zu wissen, denn länger als zwei Tage würde sie nicht in dieser Tretmühle arbeiten.
»Selbst wenn es möglich wäre: Was soll die Verschiebung bringen?«
»Es wäre keine gewöhnliche Verschiebung«, lächelte Jen.
Sie deutete auf ein Blatt.
»Sehen Sie da: Mr. Hitchcock hat sich ab dem 15. für zehn Tage abgemeldet. Ferien, genau zur gleichen Zeit wie jedes Jahr. Test und Einführung sind nach seiner Rückkehr geplant. Ich glaube, das sollte man ändern. Wäre es nicht sinnvoll, den 15. abzuwarten, um dann Test und Einführung aus technischen Gründen während seiner Abwesenheit durchzuziehen – ohne Gefahr seines Vetos?«
Martha blickte sie an, als hätte sie vom jugendlichen Experten einen Klaps auf den Hintern erhalten. Es arbeitete hinter ihrer gefurchten Stirn, doch dann entspannte sie sich.
»Das ist also Ihre Expertenmeinung«, spottete sie.
»Mr. Hitchcock scheint das einzige Hindernis zu sein. Also sollte man ihn neutralisieren. Jeder kämpft mit seinen Waffen.«
»Was Sie nicht sagen. Trotzdem wird Ihr Plan nicht funktionieren. Hitch hat nämlich einen Stellvertreter, der sich auch nicht scheut, den Mund aufzumachen.«
»Sie meinen Al Carter. Das ist genau der Punkt«, stimmte Jen zu. »Mir fehlen die Unterlagen, um seine Haltung endgültig zu beurteilen.«
Martha dachte kurz nach, bevor sie den Kopf schüttelte.
»Ich erinnere mich nicht.«
»Gibt es Leute in der IT, die einen guten Draht zu Mr. Carter haben?«
»Keine Ahnung, aber es gibt Protokolle von unzähligen Sitzungen, wo Sie vielleicht Hinweise finden. Warten Sie, ich besorge sie Ihnen.«
Martha sprang auf und ließ sie allein im Büro zurück. Einzig zu diesem Zweck hatte Jen das ganze Theater inszeniert. Sie brauchte nur eine Minute an Marthas Computer, um unbeobachtet den USB-Stick einzustecken und ihr Spionageprogramm einzuschleusen. Das Programmfenster öffnete sich. Sie versicherte sich, dass der Spion seine Arbeit ordentlich verrichtete, dann blieb nur noch Zeit, das
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