Shutdown
niemand sonst kam infrage. Man konnte passiv aushorchen, durch geduldiges Abhören von Gesprächen und Mails, wie sie es mit ›Office P‹ praktiziert hatte, oder aktiv durch subtile Befragung, ohne dass die Betroffenen es merkten, social engineering. Nicht ihre Stärke. Beides gefiel ihr nicht. Es war die Wahl zwischen Pest und Cholera oder zwischen Männlein und Weiblein, wenn sie nackt vor dem Spiegel stand. Mike, der unwiderstehliche Kommunikator, war nicht verfügbar, also musste sie sich wohl oder übel mit dem Gedanken anfreunden, Gamovs Kommunikationskanäle irgendwie anzuzapfen. Sie versank in einen Dämmerzustand, der Körper im Koma, der Geist hellwach, um die beste Lösung zu finden.
Ein lang anhaltender, sehr hoher Piepton, nur zu hören von jungen, unverbrauchten Ohren, schreckte sie auf. Ihr Bodyguard warnte sie. Sie hatte das kleine Programm in den ersten Minuten auf dem PC installiert, um jeden fremden Zugriff auf ihre sensiblen Daten sofort zu entdecken. Beim Blick auf das Kontrollfenster stieß sie einen leisen Fluch aus. Ein Programm mit dem originellen Namen ›X007‹ schnüffelte in ihrem Mailaccount. In einem Atemzug löschte sie die verräterische Mail ihres Spions und löste einen Neustart des Computers aus. Wahrscheinlich war es zu spät. Sie war enttarnt! Warum sollte man sonst ihre Mails überprüfen? Sie musste jeden Augenblick damit rechnen, von Sicherheitsleuten abgeführt zu werden. Mit Gamovs Truppe war nicht zu spaßen. Hastig stopfte sie die wenigen persönlichen Gegenstände in die Taschen, dann sprang sie auf, um die Entwicklung aus sicherer Entfernung in der Nähe des Treppenhauses zu beobachten. Sie drehte sich um und erstarrte. Zwei Riesen versperrten den Ausgang des Cubicles. Sie betrachteten sie ohne sonderliches Interesse wie ein vertrautes Möbelstück.
»Mr. Waller, kommen Sie bitte mit«, sagte der eine.
Die Stimme klang weder freundlich noch feindselig, doch die Miene des Herrn ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass sein bitte nur ein belangloses Füllwort war.
»Warum, wohin?«, fragte sie, ohne sich zu rühren.
Ihr Herz pochte, dass sie es hören mussten.
»Kommen Sie bitte mit«, wiederholte der Riese.
Er streckte die Hand aus. Sie umschloss ihren Arm mühelos, wie Adams Pranke es in ihrer Kindheit getan hatte.
»Wollen Sie mir ...«
»Kommen Sie! Wir möchten kein Aufsehen erregen.«
Keiner ihrer Kollegen schien sich darum zu kümmern, was mit Jerry Waller geschah. Dennoch glaubte sie, die neugierigen Blicke auf ihrem Rücken zu spüren, während die Riesen mit der Bezeichnung ›Security‹ auf dem Badge sie zur Schlachtbank führten. Beim Betreten des Lifts schoss ihr kurz der Gedanke durch den Kopf, auszureißen, doch der Arm im Schraubstock war anderer Meinung. Die Männer führten sie in ein kahles Zimmer ohne Fenster. In der Mitte stand ein Tisch mit vier Stühlen. Wände und Decke waren schmutzig grau gestrichen, um den deprimierenden Eindruck zu verstärken, und eine gut sichtbare Kamera beobachtete jede Bewegung.
»Setzen Sie sich«, sagte der mit der Stimme.
Sie versuchte, einen gelösten Eindruck zu erwecken, redete sich ein, dies wäre nur dramatisches Theater, um sie zum Reden zu bringen. Die können Jerry Waller höchstens rausschmeißen, vielleicht anzeigen, aber das ist schon unwahrscheinlich , dachte sie. Beinahe wäre es ihrem Verstand gelungen, den Bauch zu überzeugen, der sich in seiner Scheißangst verkrampfte und verknotete, als wollte er durch den Hinterausgang fliehen. Dabei malte er die schrecklichsten Bilder. Ausziehen müsste sie sich. Jede Naht ihrer Kleider würde aufgetrennt, um auch das unwahrscheinlichste Versteck zu finden. Der Stick! Sie schielte heimlich zur Kamera. Sie saß so, dass ein Beobachter jede Regung ihres Gesichts durch die Linse sehen konnte. Was hinter ihrem Rücken geschah, blieb jedoch im Dunkeln. Die Riesen steckten die Köpfe zusammen. Kurz danach verließ der Sprecher den Raum. Sie nutzte die kurze Ablenkung. Ihre Hand fuhr in die Hosentasche, schnappte den USB-Stick und steckte ihn hastig hinten in den Slip zwischen die Pobacken. Leibesvisitation! , unkte der Bauch. Es blieb keine Zeit, sich darüber aufzuregen. Die Tür wurde aufgestoßen. Ein älterer, grauhaariger Herr trat ein, Typ pensionierter Armeeoffizier. Er musterte sie mit unbeweglichem Gesicht und setzte sich ihr gegenüber.
»Mein Name ist John Maynard. Ich leite den Sicherheitsdienst in diesem Haus«, sagte er, während er sie
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