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Shutdown

Shutdown

Titel: Shutdown Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansjörg Anderegg
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verräterische Fenster zu schließen, bevor Martha zurückkehrte. Der Memorystick steckte noch im Computer unter dem Tisch. Martha reichte ihr zwei Ordner mit der Bemerkung:
    »Amüsieren Sie sich damit. Ihr Vorschlag ist originell, aber verschwenden Sie nicht zuviel Zeit damit, klar?«
    »Alles klar.«
    Sie nahm die umfangreiche Protokollsammlung entgegen und blieb unschlüssig stehen, während der Stick in ihren Gedanken wuchs und zu surren begann wie eine Schmeißfliege, bis er nicht mehr zu übersehen war.
    »Noch etwas?«, fragte Martha ungeduldig.
    »Hmm – ich weiß nicht. Mr. Gamov hat kurz hereingeschaut ...«
    »Was?«, rief Martha erschrocken. »Hat er mich gesucht? Wo ist er?«
    »Ist gleich wieder gegangen, ohne etwas zu sagen. Vielleicht treffen Sie ...«
    Sie war schon draußen. Jen atmete hörbar auf. Sie steckte den Stick ein und eilte ins Cubicle zurück, wo sie sich seltsamerweise sicher fühlte. Sie schlug den ersten Ordner auf, ohne einen Blick hineinzuwerfen. Nach einer Weile begann sie, aufgeregt darin zu blättern, um die Wartezeit erträglicher zu machen. Der Spion würde das Ergebnis in einer verschlüsselten Mail an ihren Account senden, ein Spiel mit sehr hohem Risiko.
    »Ich wusste gar nicht, dass du ein VIP bist«, sagte Toms Stimme hinter ihrem Rücken.
    Ihr Herz drohte auszusetzen. Hastig versteckte sie das Fenster des Mailprogramms und versuchte, den großen Bildschirm mit dem schmalen Körper abzudecken. Tom warf grinsend eine Zeitung auf ihren Schreibtisch. Wer ist der geheimnisvolle Besucher? , stand in fetter Schrift über einem Schnappschuss, der sie augenblicklich erblassen ließ. Sie erkannte ihren Mietwagen und das leicht verschwommene Gesicht hinter der Frontscheibe auch ohne den Text zu lesen. Trotzdem traute sie ihren Augen nicht, als sie den Namen ihres Alter Ego entdeckte:
     
    Jerry Waller nennt sich Carmen Tates jugendlicher Besucher, den sie als Einzigen, außer den Anwälten von Fitch, Roderick und Partners, empfangen hat. Bisher ist nur wenig bekannt über den jungen Mann ...
     
    »Was – woher ...«, stammelte sie.
    Ihre Stimme versagte.
    »Steht heute in allen Zeitungen«, lachte Tom. »Wie gesagt: ein echter VIP.«
    »Quatsch!«
    »Lies es selbst. Also: Wer ist der geheimnisvolle Jerry Waller?«
    »Hat alles nichts mit mir zu tun.«
    Sie hielt ihm das Blatt wieder hin, obwohl sie der reißerisch aufgemachte Artikel brennend interessierte. Woher kannten die Zeitungsfritzen ihren zweiten Namen? Ihr Risiko hatte sich nochmals drastisch erhöht. Sie fühlte sich plötzlich nackt und tausend Augen starrten sie an. Tom zog enttäuscht ab, und sie wartete weiter auf den Bericht des Spions.
    Endlich kündete ein leiser Klingelton neue Mail an. Marthas Konto erlaubte Zugriffe auf weit mehr Daten als ihr beschränkter Testaccount. Der Report des Spions umfasste nahezu ein Megabyte Texte und Tabellen, immerhin ein Buch von fünfhundert Seiten Umfang. Sie sicherte die Information auf dem USB-Stick und steckte ihn in die Tasche, bevor sie die gesammelten Daten sichtete. Erstaunt stellte sie fest, dass es doch eine Verbindung zur Insel der M-Systeme gab. Es war nur eine Einbahnstraße, eine Dropbox, ein Briefkasten, in den Dateien aus dem ganzen Netz hineingeworfen, aber nur von den Ms wieder herausgeholt werden konnten. Solche Sicherheits-Mechanismen waren nichts Ungewöhnliches. Fast jedes Computersystem stellte diese diskreten Briefkästen zur Verfügung. Was Jens Puls augenblicklich in die Höhe schnellen ließ, war der Name der Dropbox: Moonbase. M wie Moonbase! Bildeten die M-Systeme die Basis der Operation Shutdown? Der Schluss lag nahe. Fieberhaft durchsuchte sie den Report nach weiteren Hinweisen auf Moonbase. Sie fand nichts, nicht die geringste Spur, selbst bei der Suche nach phonetisch ähnlich klingenden Namen. Das beruhigte sie, denn es war ein deutlicher Hinweis darauf, wie lückenlos abgeschottet das Netz der Ms war – ein Hochsicherheitsnetz, in das nur eindringen konnte, wer über direkten Zugang zu den Servern verfügte.
    Sie musste diese Computer finden. Dieser Job war wesentlich schwieriger, als irgendeine Suche im Netz, doch sie ließ sich nicht entmutigen. Alles deutete darauf hin, dass die Insel der Ms, die Moonbase, das Geheimnis barg, das sie lüften musste, um als freie Jen Walker weiterleben zu können. Im Grunde gab es nur eine Möglichkeit, mehr über Moonbase zu erfahren: die Insider auszuhorchen. Ihr Bauch wusste, wer das war: Gamov,

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