Shutdown
Sinn. Sie streckte die Hand aus, um abzuschalten, da hielt Jezzus sie zurück.
»Warte! Ich glaube, es ist etwas im Gang in der Market Street.«
Dort mussten sie hin, unbedingt. Sie hörten eine Weile schweigend zu. Meldungen über Plünderungen und Einsatzbefehle kamen aus allen Ecken der Stadt, wie es schien, aber ein massives Polizeiaufgebot war unterwegs ins Viertel South of Market. Ihr Ziel lag weiter südlich in der Nähe von Mission Dolores.
»Das können wir umfahren«, murmelte Jezzus und drehte das Radio leiser.
»›Two one one‹, was ist das?«
»Raubüberfall, glaube ich. Mit Geiselnahme, wie sich’s anhört. Ein ganz gewöhnlicher Banküberfall, nehme ich an.«
»Kein Wunder, hat niemand Zeit für die paar Idioten auf der Bay Bridge«, brummte sie.
Die Kolonne löste sich auf, sobald sie die Stadt erreichten. Mit einem Mal kam ihr das Häusermeer verlassen vor wie an einem Sonntagnachmittag. Nur Richtung Süden, auf dem Central Freeway und der 101, stauten sich die Fahrzeuge. Exodus aus San Francisco. Das gleiche Bild hatte sie auch in Oakland gesehen. Wer nicht unbedingt bleiben musste, rettete sich zu Bekannten und Verwandten in den Süden, wo die Stromversorgung noch einigermaßen funktionierte, oder außerhalb des Golden State. Die Leute verloren das bisschen Vertrauen in die Behörden, das ihnen noch geblieben war, oder sie flüchteten aus schierer Panik nach den Schreckensmeldungen aus den Autoradios und Laptops, die noch funktionierten. Die Ausrufung des Notstands am frühen Morgen hatte wohl noch die letzten Optimisten überzeugt, dass nicht mit rascher Besserung zu rechnen war. Ohne Elektrizitätsversorgung funktionierte nach kurzer Zeit so gut wie nichts mehr. Das Benzin wurde knapp, nicht weil keines da war, aber weil die Zapfsäulen keines hergaben ohne Strom. Die Infrastruktur war sichtbar am Zusammenbrechen. Davon zeugten auch die Müllsäcke, die zur Freude der Möwen zerrissen am Straßenrand liegenblieben. Das Gebläse der Klimaanlage wehte den Verwesungsgestank direkt in ihre Nasen. Jen dachte an den Kühllaster.
»Wo will der seine Puten abladen?«, fragte sie laut.
»Wovon redest du?«
»Dirty Harry. Sein ganzer Lkw war voll gefrorener Turkeys.«
»Ach der. Ja klar, der fährt direkt in die Verbrennungsanlage.«
»Ich fürchte, der Gestank dieses Mülls ist erst der Anfang«, murmelte sie.
Die letzte Meile verbrachten sie schweigend. Nach allem, was sie gesehen hatten, glaubte sie nicht mehr an den Erfolg ihrer Mission. Umso überraschter stellte sie fest, dass die kleine Poststelle geöffnet hatte. Sie steckte den Schlüssel ins Schloss des Postfachs und klappte das Türchen auf, ganz ohne elektrische Energie. Ein einziger Umschlag ohne Absender lag im Fach. Mehr erwartete sie nicht. Sie schlitzte ihn auf, warf einen Blick hinein und lächelte erleichtert. Der Scheck über zehntausend Dollar war angekommen. Bevor sie das Gebäude verließ, kündigte sie das Postfach und gab den Schlüssel ab. Sie brauchten jede Adresse nur einmal. Alles andere wäre zu gefährlich. Dann nahm sie den Plastikbeutel aus der Tasche, zog den Brief an Jim Ward mit einem Taschentuch heraus, um keine Fingerabdrücke zu hinterlassen und warf ihn in den nächsten Briefkasten. Der Code für die Entschlüsselung ihres Berichts war unterwegs.
Kapitel 3
San Francisco, Kalifornien
Die erste Filiale der ›Union Bank‹ war geschlossen. Die Zweite ebenso wie die Dritte. Nach der Vierten gaben sie auf. An diesem Nachmittag würden sie Jim Wards Scheck nicht mehr einlösen. Jen fasste in die Tasche. Der Umschlag fühlte sich gut an. Sein Inhalt war zehntausend Dollar wert. Damit ließ sich wieder eine Weile leben.
»Was meinst du, Osten, Norden, Süden?«, fragte Jezzus.
»Spielt wahrscheinlich keine Rolle. Wir brauchen sowieso fünf, sechs Stunden bis zur Fabrik.«
»Fürchte ich auch.«
Er fuhr um den Block herum zurück zur Market Street. Nach einer halben Meile bog er rechts ab in die Van Ness Richtung Süden. Die Route über Palo Alto um die Bucht herum war zwar viel länger als der Weg über die Bay Bridge, aber trotzdem eine gute Wahl. So konnten sie sich erst im Strom der Stadtflüchtlinge treiben lassen und im Osten der Bay auf weniger Verkehr in Richtung Oakland hoffen.
»Eine Tankstelle wäre nicht schlecht«, brummte Jezzus.
Jen blickte auf die Anzeige. »Der Tank ist noch lange nicht leer«, stellte sie fest.
»Richtig, aber mein Magen.«
»Gut, dass du mich daran
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