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Shutdown

Shutdown

Titel: Shutdown Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansjörg Anderegg
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Brücke blockierte.
    »Hau ab!«, schrie ein Jugendlicher, während er mit der Pistole fuchtelnd auf sie zu rannte. Die Szene erschien ihr so unwirklich, als wäre sie durch die Leinwand in einen Film geraten. Der Junge blieb verwirrt stehen, als sie sich nicht bewegte. Seine Hand mit der Waffe zuckte unkontrolliert auf der Suche nach einem Anschluss ans Gehirn. Zwei, drei Sekunden lang sahen sie sich in die Augen wie Boxer vor dem ersten Schlag, dann murmelte Jen: »Ich wollte nicht stören«, und drehte ihm den Rücken zu.
    »Was geht da vor?«, wollte der Fahrer des Kühltransports wissen, als sie den Pick-up erreichte.
    Allmählich sank die Erkenntnis in ihr Bewusstsein, dass sie eben einer schussbereiten Pistole in der Hand eines unterbelichteten Knaben gegenübergestanden hatte. Das Blut schoss ihr in den Kopf wie nach der Entdeckung einer fehlenden Zeile in ihrem Code. Mit leicht zitternder Stimme antwortete sie:
    »Ein Überfall am helllichten Tag. Fünf oder sechs Jugendliche decken sich mit neuen Fernsehern ein. Dauert wohl noch eine Weile.«
    »Das glaube ich kaum«, sagte der Fahrer grimmig.
    Er stieg ins Fahrerhaus, kam aber nach kurzer Zeit wieder heraus. In seiner Armbeuge hielt er eine Flinte mit Doppellauf. Das schwere Gerät musste jeden Grizzly auf Anhieb stoppen. Ungläubig sah Jen zu, wie er zwei gigantische Patronen in die Läufe schob, das Gewehr zuklappte, schulterte und durch die Gasse zwischen den Autokolonnen auf die ahnungslosen Kindsköpfe zuschritt.
    Jezzus stieß die Wagentür auf. »Was wird das, wenn's fertig ist?«
    Weitere Leute kurbelten die Scheiben herunter und reckten zaghaft ihre Hälse. Der Donnerknall des Bärentöters heilte sie von ihrer Neugier. Alle Gesichter verschwanden gleichzeitig im schützenden Dunkel der Autos. Auch Jen hielt es für angezeigt, einzusteigen, während Jezzus auf die Ladefläche stieg, um besser zu sehen. Laute Rufe mischten sich ins Brummen der Motoren, dann knallte die Büchse des Lkw-Fahrers ein zweites Mal.
    Jezzus sprang lachend auf die Straße. »Dirty Harry hat aufgeräumt«, sagte er und setzte sich ans Steuer.
    Hupend setzten sich die Autos vor ihnen in Bewegung. Dirty Harry kehrte mit geschultertem Gewehr zu seinem Lkw zurück. Die Hochrufe und das freudige Hupkonzert beachtete er nicht. Mit unbeweglicher Miene stieg er ein und fuhr ihnen nach. Die Kolonne bewegte sich langsam am Tatort vorbei.
    »Dirty Harry hat einen Van erschossen«, grinste Jezzus.
    Eines der Fahrzeuge der jugendlichen Räuber lag mit einem Loch im Tank brennend am Straßenrand. Ein paar Mutige halfen dem Fahrer des Transporters, die Fernseher wieder umzuladen. Von den Kindsköpfen fehlte jede Spur, ebenso von der Polizei. Jen schaltete das Radio ein und drückte die Tastenkombination, die aus dem billigen Massenprodukt einen hochempfindlichen Scanner für den digitalen Polizeifunk der Bay Area machte. Es blieb Jezzus’ Geheimnis, wie er die Bauteile zur Entschlüsselung beschafft hatte. Als hätte sie die schlafenden Cops geweckt, knatterten unvermittelt die Rotoren eines Hubschraubers über ihnen. Ein Zweiter folgte in geringem Abstand, dann ein Dritter. Die Formation interessierte sich nicht für das Geschehen auf der Brücke. Im Tiefflug zogen die dunkelgrauen Helikopter weiter über die Bay mit Kurs auf San Francisco.
    »Das sind keine Cops«, sagte sie.
    Jezzus lachte. »Gratuliere. Gut beobachtet, Jen. Die bieten die Nationalgarde auf. Die Polizei ist vollauf mit dem Ausbruch in San Quentin beschäftigt, hörst du nicht?«
    »Na ja, wenigstens gibt’s jetzt wieder Platz für uns im Knast, falls sie Jagd auf Hacker machen.«
    »So unwahrscheinlich ist das nicht. Idioten wie die Ratte würden uns aber nicht nach Marin County schicken, sondern ohne Prozess geradewegs nach Kuba.«
    »Patriot Act, ich weiß. Dein Lieblingsthema.«
    Seine Miene verfinsterte sich wieder beim Gedanken an die schändliche Aushebelung fundamentaler Rechte, wie er das Gesetz zur Bekämpfung des Terrorismus bezeichnete. Jen war gleicher Meinung, nur hielt sie nichts davon, sich bei jeder Gelegenheit darüber aufzuregen. Das Volk hatte die Schwachköpfe gewählt, die solche Gesetze machten, also verdiente es nichts Besseres. Manchmal erinnerte Jezzus sie an den verrückten Spanier, der gegen Windmühlen gekämpft haben soll. Der war allerdings spindeldürr. Vielleicht, weil er sich mehr bewegte. Das statische Rauschen, Knacken und die zusammenhanglosen Dialoge aus dem Radio ergaben wenig

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