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Shutdown

Shutdown

Titel: Shutdown Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansjörg Anderegg
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lassen.
    »Ich weiß, aber die Nachrichten sind wichtig für alle«, entgegnete er.
    »Gibt's Neues außer Einbrüchen, Ausbrüchen, Terroristen und ›PACTA‹?«
    Seine Stimme wurde lauter. »Allerdings. Hört mal alle her. Wir haben ein Problem.«
    Der besorgte Ton in seiner Stimme ließ alle aufhorchen.
    »›TNN‹ verbreitet wieder ein Gerücht«, fuhr er weiter.
    »Das ist ihr Job«, spottete Linda.
    »Die Rede ist von einer Gruppe anonymer Hacker, die Verbindungen zu Jim Ward haben sollen.«
    Jens Herzfrequenz erhöhte sich sprunghaft. Jeden Tag, jede Stunde hatte sie so etwas befürchtet.
    »Nichts weiter als ein Gerücht«, bemerkte Mike abschätzig.
    Jen schüttelte den Kopf. »Da steckt mehr dahinter.«
    Emma stimmte ihr zu: »Fürchte ich auch. Das Volk bei ›TNN‹ ist nicht dumm. Es sind smart Idiots. Sie erfinden nicht einfach wilde Gerüchte, sondern filtern Tatsachen und Informationen, bis das Publikum die selektive Wahrheit für die ganze Wahrheit hält. Brandgefährlich, wenn ihr mich fragt.«
    »Oder kurz gesagt: Sie manipulieren die Zuschauer mit Köpfchen«, sagte Linda. »Das ist doch längst bekannt.«
    Jezzus räusperte sich. »Könnt ihr vielleicht für einen Augenblick die Klappe halten? Das Gerücht allein würde mich nicht stören, aber da ist noch etwas.« Er legte eine Kunstpause ein, um sich zu versichern, dass jeder zuhörte. »›TNN‹ behauptet, SFPD ermittle gegen die Hacker.«
    »Immerhin nicht die Oakland Police«, scherzte Mike, doch niemand lachte.
    »Wir müssen vom Worst Case ausgehen«, warnte Jezzus.
    Emma verzog das Gesicht zu einer angewiderten Grimasse. »Smart idiots, sage ich ja. Jetzt sind wir die Terroristen.«
    »Nur keine Panik, Leute«, versuchte Mike zu beruhigen. »Es führt keine Spur zu uns. Stimmt's, Jezzus?«
    Seine Stimme klang weniger selbstsicher, als sie sollte. Jezzus schwieg. Nachdenklich blickte er seine Freunde an, bevor er fast flüsternd murmelte:
    »Alles hat einmal ein Ende.«
    »Was willst du damit sagen?«, fuhr Jen auf.
    Sie kannte die Antwort, wie die andern auch. Es war der Schatten, der von Anfang an auf der Kommune lag, ihrem ersten und einzigen Zuhause seit Mutters gewaltsamem Tod. Jedes Mal schnürte es ihr die Kehle zu, wenn sie nachts in die Fabrik zurückkehrte und keine Lichter brannten. Erst Jezzus' Schnarchen und Emmas Kampfer in der Nase beruhigten sie in solchen Augenblicken. In dieser schäbigen Fabrikhalle, wo alle Gerüche auch an Schmierfett und Rost erinnerten, hatte sie endlich Freunde gefunden. Menschen, denen sie vertraute und die ihr vertrauten, ohne zu fragen, woher sie kam, was sie getan oder nicht getan hatte. Ihre Gegenwart schützte sie vor den Gespenstern der Vergangenheit. Meistens jedenfalls. Sie hatte nie an ein Ende dieses labilen Gleichgewichtszustands denken wollen. Und jetzt war der verheerende Satz ausgerechnet aus Jezzus' Mund gekommen.
    »Ich muss kotzen«, murmelte sie kreidebleich.
    Ohne ein weiteres Wort ging sie hinaus, die Treppe hinunter auf die Straße. Sie achtete nicht darauf, wohin sie irrte. Angst, Wut und Trauer erstickten jeden vernünftigen Gedanken. Irgendwann mündete das Gewitter in ihren grauen Zellen in Hoffnungslosigkeit. Sie stand am Yachthafen. Ihr Blick schweifte über das schwarze Wasser der Bucht zu den verlassenen Bootsstegen. Es war still bis auf den ständigen Geräuschteppich ferner Polizei- und Feuerwehrsirenen. Nur wenige Boote lagen im Hafen. Die meisten waren mit ihren Besitzern geflohen aus diesem Paradies, das eine knappe Woche ohne Strom in ein Kriegsgebiet verwandelt hatte. Das Wasser plätscherte nur zaghaft an die Kaimauer, als wollte es sich endgültig schlafen legen. Die Ruhe an der Marina beruhigte nicht. Es war die Stille verbrannter Erde wie in einem verlassenen Katastrophengebiet.
    Ein bekannter Geruch stieg ihr in die Nase. Der Geruch war warm und glänzte wie Marmor.
    »Emma?«, fragte sie lächelnd.
    Sie brauchte sich nicht umzudrehen. Es konnte nur sie sein. Die Seide raschelte, als die schwarze Gestalt neben sie trat.
    »Besser?«, fragte Emma.
    Jen schüttelte den Kopf. Sie wollte antworten, aber das Wort blieb ihr im Halse stecken. Ihre Augen wurden feucht. Beschämt wandte sie sich ab.
    »Du weinst ja.«
    Jen sträubte sich mit aller Kraft gegen die aufkeimende Verzweiflung. Sie durfte keine Schwäche zeigen. Niemals, sonst wäre sie verloren. Das wusste sie. Trotzdem nahm sie Emmas Taschentuch. Die Geste vermochte sie endlich zu beruhigen, wie

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