Shutdown
Neige ging, und kehrte ins Büro zurück. Ein Anruf bei der Hausverwaltung bestätigte seine Vermutung.
»Die Stadt sitzt auf dem Trockenen«, antwortete er auf Joes fragenden Blick. »Fürs große Geschäft gehst du am besten raus und suchst dir ein stilles Gässchen.«
»Kein Wasser? Das ist nicht dein Ernst. Darum versuchen die verfluchten Lautsprecher da draussen die ganze Zeit, mich am Arbeiten zu hindern.«
Ärgerlich riss er ein Fenster auf. Mit der Gluthitze drang der Lärm der Lautsprecherdurchsagen in den muffigen Raum. Die Glas- und Betonfassaden der Umgebung warfen die Durchsagen vielfach zurück, dass Nathan nur Wortfetzen verstand.
»... Blackout ... Tuolumne River ... Wasseraufbereitung stillgelegt ... Wasserqualität garantieren ... Bevölkerung sparsam ... reduziert ... verboten für nicht lebensnotwendige Zwecke ... Notversorgung 6 p. m. ... Zisternenwagen Fisherman's Wharf, Embarcadero, Mission und Third, Eighth, Central ...«
»Schließ das Fenster, Joe. Das hält kein Mensch aus.«
Er meinte weniger die Hitze des fast windstillen Sommertages, als die niederschmetternde Botschaft.
»Wir sind am Arsch«, stellte sein Partner denn auch folgerichtig fest.
Nathan nickte. Sein Blick wanderte zur letzten halb leeren Flasche Seltzer aus dem häuslichen Vorrat.
»Ich glaube, wir sollten uns auch bei Mission und Achter anstellen«, brummte er verdrossen.
Er hoffte inständig auf Hannahs Einfallsreichtum. Der hatte seine Gattin noch nie im Stich gelassen, seit sie ihn zum ersten Mal länger als eine Nanosekunde angesehen hatte, also länger als alle andern Frauen. Die Zustände in der Stadt, der Bay Area, ja halb Kalifornien glichen jedoch zunehmend Szenarien, die er nur aus Katastrophenfilmen kannte. Gute Einfälle und Flexibilität allein genügten allmählich nicht mehr zum Überleben. Er fragte sich ernsthaft, wie lang er seiner Familie noch zumuten konnte, in dieser Zivilisationswüste auszuharren.
»Und alles, weil einige idiotische Programme ausrasten«, lästerte Joe. »Man sollte meinen, es wäre nicht zuviel verlangt, die paar Schalter von Hand umzulegen.«
Staatsanwältin Kate Gallagher trat ein und bedachte ihn sogleich mit einem Blick, strenger als ihre Frisur.
»Da täuscht sich der Herr«, sagte sie. »Im Zuge der Digitalisierung und Umstellung aufs intelligente Netz haben Computer eine absolut zentrale Rolle übernommen. ›CGO‹, die Kraftwerksbetreiber und die Nationalgarde arbeiten mit Hochdruck am Aufbau eines Notnetzes mit alten, analogen Komponenten, die eigentlich ausgemustert sind. Das dauert.«
Nathan blickte sie mit großen Augen an. Die korrekte Kate musste eine der letzten fünf oder sechs Personen in San Francisco sein, die noch ein gewisses Verständnis für ›CGO‹ aufbrachten. Er verzichtete darauf, sich nach dem Grund zu erkundigen. Stattdessen fragte er:
»Wie kommt es, dass du so frisch riechst? Funktioniert eure Toilette immer noch?«
Sie hielt es nicht für sinnvoll, darauf zu antworten. »Hier sind die Kontoauszüge«, sagte sie und legte eine DVD auf seinen Schreibtisch.
»Was soll ich damit?«
»Die kann man in den Computer schieben und – ach so.«
Joe grinste bis über beide Ohren.
»War wohl doch keine brillante Idee, uns den Strom zu rationieren«, sagte Nathan.
Kate blickte betreten auf die Disk, dann offenbarte sie ein Geheimnis: »Bei uns laufen die Computer.«
»Sag mal!«, rutschte es Joe heraus.
Die Staatsanwaltschaft brauchte also nicht auf die Annehmlichkeiten der Zivilisation zu verzichten. Er hätte es wissen müssen, dachte Nathan. Rechtsanwälte waren wichtiger in Krisenzeiten als Ermittler. Er streckte ihr den Datenträger wieder hin mit der Bemerkung:
»Wir brauchen die Auswertung heute noch.«
»Wie heißt das Zauberwort?«, gab sie giftig zurück.
Sie machte keine Anstalten, die Disk an sich zu nehmen, drehte den Kommissaren abrupt den Rücken zu und forderte sie auf, ihr zu folgen.
»Sie können in meinem Büro arbeiten«, erklärte sie.
»Wir dürfen ...«, flüsterte Joe auf dem Weg zur Staatsanwaltschaft, laut genug, dass sie es hören musste.
Wie Nathan legte er keinen besonderen Wert auf die Aussicht, bald befördert zu werden. Kate hätte theoretisch einigen Einfluss auf die Karriere ihrer Ermittler ausüben können, aber sie war aus anderem Holz geschnitzt. Sie legte Wert darauf, dass alle einen guten und vor allem korrekten Job machten. Ob andere sie dafür liebten oder hassten, war ihr
Weitere Kostenlose Bücher