Shutdown
wartete auf das Freizeichen.
»Besetzt«, murmelte sie nach einigen Sekunden. »Was ist das für ein Gerücht, woher stammt es?«
Kiki zuckte die Achseln. Sie drehte den Ton ihres Computers lauter. »Hör dir das an.«
In einem Fenster auf ihrem Monitor lief die interne Vorausstrahlung des ›Compass‹, der Talkshow, mit der ›TNN‹ jeden Freitag bei elf Millionen Zuschauern für politische Orientierung sorgte.
»Senator Green hat neulich den ›Austin-Report‹, zitiert, der nachweist, dass die Cyberkriminalität in den Staaten und Ländern am höchsten ist, welche die restriktivsten Gesetze haben«, fragte ein Zuschauer aus dem Off. »Damit würde man mit ›PACTA‹ genau das Gegenteil ...«
Weiter ließ ihn Senator Johnsons Pressesprecher, der offenbar seinen Chef in dieser Runde vertritt, nicht sprechen. »Der ›Austin–Report ist längst widerlegt worden. Er ist irrelevant. Wir müssen aufhören, die Augen zu verschließen. Die Katastrophe ist da. Sie ist real. Wir diskutieren hier keine hypothetischen Bedrohungsszenarien ...«
»Haben die denn alle den Verstand verloren?«, rief Carmen entsetzt und hängte sich wieder ans Telefon.
Sie verlangte den Produzenten der Talkshow, der nicht ahnen konnte, an welch dünnem Faden seine Zukunft bei ›TNN‹ gerade hing. Die Show würde erst morgen Abend ausgestrahlt. Das war seine Rettung – und die blitzschnelle Annahme ihres Anrufs.
»Nat, ich sehe mir gerade die ›Compass‹-Aufzeichnung an.«
»Die läuft noch, ja. Gibt’s schon Feedback?«
»So wird das nicht gesendet«, sagte sie kurz und bündig.
»Wie – soll ich das verstehen?«
»Genauso, wie ich es sage. Habt ihr geschlafen beim Schneiden? Der Name Green darf höchstens in negativem Kontext auftauchen. Alle Kommentare, die Zweifel an ›PACTA‹ auch nur andeuten, müssen raus. Der Zug ist abgefahren, Nat. Wir werden ihn doch nicht selbst wieder aufhalten. Schneidet meinetwegen Pseudoanrufer aus dem Studio rein und lässt, verdammt noch mal, kein gutes Haar an den Gegnern der Vorlage. Don würde uns den Kopf eigenhändig abreißen, wenn so etwas raus geht. Haben wir uns verstanden?«
Verärgert griff sie zur Wasserflasche auf Kikis Tisch. Sie war leer.
»Kein Wasser mehr da?«
»Auch das wird langsam knapp«, stellte die Redakteurin lakonisch fest. »Vielleicht findest du etwas warmes Wasser in Darrens Kühlschrank.«
Kiki hatte schon bessere Tage erlebt, dachte Carmen. Die Frau strahlte sonst in jeder Situation einen gesunden Optimismus aus, aber der anhaltende Ausnahmezustand zermürbte den stärksten Charakter. Man konnte sich auf nichts mehr verlassen, was noch vor wenigen Tagen selbstverständlich gewesen war. Sie selbst gewöhnte sich nur schwer daran, dass ihre bevorzugten Bars und Restaurants geschlossen blieben, ebenso die Geschäfte und Lieferdienste, mit deren Angebot sie ihr Leben bisher organisiert hatte. Sie musste ständig wechselnde, kurze Öffnungszeiten und lange Schlangen erdulden, um nur ihren Hunger und Durst zu stillen. In welchem gottverlassenen Entwicklungsland lebte sie eigentlich? Mit einem Mal wunderte sie sich, dass Telefon und Toilette noch funktionierten. Fragte sich nur, wie lang. Sie blickte auf die Uhr. Es war Zeit für die Telefonkonferenz. Feste Zeiten für eine Konferenzschaltung statt Dauerkontakt im virtuellen Büro – auch das ein Rückfall in vergangene, wenig produktive Zeiten.
»Ich bin an der Spinne«, brummte sie und wollte gehen, doch Kiki hielt sie zurück.
»Augenblick, Steve ist am Apparat.«
Sie drückte die Freisprechtaste.
Steve Duncans Bass dröhnte, dass der kleine Lautsprecher schepperte: »Carmen, bist du das?«
»Ja, was gibt’s. Willst du die Sache nicht in der Redaktionskonferenz ...«
»Schon, aber ich brauche dringend Kikis Unterlagen über ›CGO‹ und Jim Ward. Wir müssen an die Bankdaten kommen.«
»Die Recherche liegt erst in Papierform vor«, stellte Kiki klar. »Du musst dich schon herbemühen.«
»Das ist Scheiße, und das weißt du«, wetterte Steve.
Carmen griff ein. »Was hast du herausgefunden?«
»Enthüllt meinst du«, donnerte Steve. »Das ist eine Riesensache, brandheiß. Ich habe die Bestätigung, dass Jim Ward selbst eine Gruppe anonymer Hacker engagiert hat. Angeblich, um die Sicherheit des Netzes zu überprüfen.«
Ihr stockte der Atem. »Anonyme Hacker ...«
»Ja klar arbeiten die anonym, sind Hacker. Auch Ward kennt ihre wahre Identität nicht, aber es gibt sie. Ich besitze Kopien aus
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