Shutdown
verpassen. Trotzdem erkannten sie den schmalen Durchgang zu spät. Er bremste abrupt und parkte am Straßenrand. Zu Fuß gingen sie zwischen den Bürogebäuden hindurch zum Innenhof, dessen einziger Schmuck ein Fleckchen vertrocknetes Gras mit dem Skelett eines nicht mehr zu identifizierenden Baums darstellte. Ein Backsteingebäude nahm eine Seite des Hofs ein. Es hatte schon bessere Tage gesehen. Das Rot der Mauer war längst einem schmutzigen Braun gewichen. Risse zogen sich über die ganze Fassade wie die Falten im Gesicht eines mexikanischen Arbeitssklaven auf den Baumwollfeldern von Fresno County. Einzig das Logo der Firma ›Blizzcom‹ glänzte in unwirklicher Frische. Auf dieser Seite gab es nur einen Eingang, wenn man von der eingeschlagenen Scheibe im zweiten Stock absah.
»Das Geschäft scheint etwas ins Stocken geraten zu sein«, brummte Joe mit gerunzelter Stirn.
Nathan beschlich ein ungutes Gefühl. Es war die Stille, die ihn irritierte. Nichts regte sich im Hof und im Gebäude. Die schwarzen Fenster starrten auf sie hinunter wie tote Augen. Er drückte auf den Knopf neben dem Schild mit der Aufschrift Anmeldung. Die Totenstille dauerte an. Er versuchte es ein zweites Mal, länger. Joe klopfte gleichzeitig an die Tür. Wieder keine Reaktion. Nathan gab seinem Partner ein Zeichen. Beide zückten die Pistolen, dann drückte er auf die Klinke. Die Tür war verschlossen. Noch einmal polterte Joe ans verwitterte Holz.
»SFPD«, rief er. »Öffnen Sie die Tür!«
Alles blieb ruhig.
»Ausgeflogen«, knurrte Joe ärgerlich.
Nathan trat näher ans Fenster neben dem Eingang. Der Raum dahinter war dunkel, tot wie das Haus. Ein Schreibtisch stand am Fenster, ein Computer-Arbeitsplatz. Neben der Tastatur lagen ein paar Notizzettel. Jemand hatte den Stuhl weggestoßen, als wäre er oder sie aus dem Büro geflüchtet.
»Sieht nicht gut aus«, murmelte er.
Joe schlenderte an der Mauer entlang, prüfte jedes Fenster, doch keines gab nach. Bei der Feuerleiter blieb er stehen. Sie ließ sich leicht herunterziehen. Nathan nickte. Sie stiegen zur zweiten Etage hinauf. Sie brauchten nicht durchs eingeschlagene Fenster einzusteigen. Ein leichter Stoss genügte. Die Balkontür schwang auf. Kaum hatten sie das Haus betreten, trieb sie der unerträgliche Gestank wieder hinaus.
»Shit!«, fluchte Nathan.
Über das Balkongeländer gebeugt, holte er Atem. Die abgestandene, heisse Luft im Haus stank tatsächlich ähnlich wie die Toilette der Kripo. Aber eine andere, weit abstoßendere Duftnote überlagerte den üblen Gestank: Verwesungsgeruch.
»Stinkt nach etwas Größerem als einer verfluchten Ratte«, krächzte Joe, während er gegen die Übelkeit ankämpfte.
Nathan erlebte so etwas nicht zum ersten Mal. Daran gewöhnen würde er sich trotzdem nie. Sie sogen sich die Lungen voll mit frischer Luft, bevor sie erneut eindrangen. Das Zimmer war eine seltsame Mischung aus Wohnschlafzimmer und Büro. Auch hier stand ein Computer auf einem schmalen, verstaubten Tisch neben einer Liege, die aussah, als wäre der Bewohner eben aufgestanden. Ordner, die eigentlich ins Wandregal gehörten, lagen auf dem Bett und am Boden, der Inhalt herausgerissen und in alle Richtungen verstreut. Die Beschriftungen deuteten darauf hin, dass der Raum zur Firma gehörte. Die Tür zum düsteren Flur stand weit offen. Vorsichtig, die Waffen schussbereit, arbeiteten sie sich vor. Ein weiteres Büro, eine Art Vorzimmer, bot das gleiche Bild der Verwüstung. In einem Nebenraum, kaum mehr als eine Nische, standen Drucker, Kopierer und ein Faxgerät, das von der Müllhalde stammen musste. Alles deutete darauf hin, dass die Leute, die hier gewohnt oder gearbeitet hatten, das Gebäude fluchtartig verlassen mussten. Der Gestank wurde mit jeder Sekunde unerträglicher. Nathans Lungen schmerzten bei jedem vorsichtigen Atemzug. Er bildete sich ein, durch langsames, flaches Atmen weniger Leichengeruch in seine empfindliche Nase zu saugen. Ein Zimmer am Ende des Flurs blieb noch übrig. Die Tür stand nur einen Spaltbreit offen. Genug, um zu erkennen, woher der entsetzliche Gestank rührte. Noch etwas drang durch die Öffnung in den Korridor. Nathan hatte das Brummen bisher nur unbewusst wahrgenommen. Jetzt hörte er es laut und deutlich, und es projizierte eklige Bilder in seinen Kopf. Er spürte, wie sich seine Nackenhaare sträubten, als er die Tür aufstieß.
»Holy ...«
Joe blieb der Fluch im Halse stecken. Auf den ersten Blick war nicht zu erkennen,
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