Shutdown
Anklage wegen Unterschlagung von Beweismaterial zu verzichten. Die Kopien des ersten Reports müssten wir auch mitnehmen. Wie hört sich das an?«
Sie zögerte nur kurz, bevor sie ihm die Papiere hinschob. »Den Rest schicke ich Ihnen. Jetzt lassen Sie mich in Ruhe!«
Kapitel 5
San Francisco, Kalifornien
Nathan Rosenblatt blätterte in den Papieren, die ihnen so zufällig zugeflogen waren, dass er geneigt war, nach langen Jahren der geistlichen Enthaltsamkeit wieder an eine höhere Macht zu glauben. Einmal zur rechten Zeit am richtigen Ort zu sein, davon konnten andere Polizisten nur träumen. Er war überzeugt, den Schlüssel zur Aufklärung des schlimmsten Hackerangriffs in der Geschichte des Landes in den Händen zu halten. Es gab nur ein Problem: Den Inhalt der sichergestellten Papiere verstand er ebenso wenig wie Hannahs Motivation, ihn dem reichen Anwalt vorzuziehen, den ihre Familie eigentlich für sie bestimmt hatte. Einmal mehr verneigte er sich innerlich vor der unergründlichen Weisheit des Schicksals.
»Kapierst du, was die schreiben?«, fragte Joe gereizt.
»Kein Wort.« Er hob den Hörer ab und wählte die Nummer der Kriminaltechnik. »Wo bleibt euer Bericht zu den Tate-Files?«
»Seit gestern in der Mail«, war die kurze Antwort.
Nicht zu fassen. Offenbar arbeiteten alle andern Abteilungen normal. Nur bei ihnen herrschte stromloses Chaos.
»Ich wette, bei euch stinken nicht mal die Toiletten«, knurrte er ins Telefon.
»Kommt darauf an, wer drin war. Warum interessiert dich das?«
Nathan erklärte es dem Techniker: »Wir arbeiten hier wie vor hundert Jahren. Da gab's noch keine Computer und kein fließendes Wasser in den Klos. Kannst du also euren Befund kurz zusammenfassen?«
»Der ist schnell erzählt. Nichts Auffälliges an Papier und Druck, keine verwertbaren Fingerabdrücke oder DNA. Das Einzige, was mit hoher Wahrscheinlichkeit feststeht, ist die gemeinsame Herkunft der Kopien des ersten Reports und dieses neuen Dokuments. Aufgrund gewisser Formulierungen und allgemein des Stils der Texte gehen wir davon aus, dass sie von ein und derselben Person geschrieben worden sind.«
»Name und Anschrift?«
»Du mich auch«, schnaubte der Techniker und legte auf.
Nathans Stimmung war gut für den nächsten Anruf bei Kate.
»Wie lange dauert es noch, bis die Spinner von ›eCrime‹ ihre Spielkonsole weglegen und ihren Arsch hierher bemühen?«, herrschte er die Staatsanwältin an.
Ihr Job war es, die Cybercrime-Spezialisten umgehend aufzubieten, und bis jetzt hatte sie kläglich versagt.
»Die Herren Myers und Myers sind vor fünf Minuten bei mir eingetroffen«, sagte sie ruhig. »Die Herren stehen neben mir, und du bist auf dem Lautsprecher.«
»Gut. Jetzt wissen sie, wie sehr ich sie vermisst habe. Wir sind gleich da.«
Er stand auf, raffte die Papiere zusammen und bedeutete Joe, ihm zu folgen.
»Die Hacker von ›eCrime‹ sind eingetroffen«, erklärte er auf dem Weg zu Kates Büro in der zivilisierten Zone der Hall of Justice. »Die Herren Myers und Myers.«
Joe lachte laut auf. »Machst du Witze?«
Jason und Norman Myers stellten sich als zwei grundverschiedene Jungs heraus, kaum alt genug, dem College entwachsen zu sein. Dass sie beide Myers hießen, war ein Zufall, und nicht ihre Schuld, wie Norman, der Extrovertierte, betonte. Jason erwies sich eher als schweigsamer Denker, der vorwiegend mit Kates Computer kommunizierte.
»Warum habt ihr uns diesen Bericht nicht viel früher gezeigt? «, wunderte sich Norman, nachdem er die kopierten Auszüge des Hacker-Reports im Eilzugtempo gelesen hatte.
»Wir kennen ihn auch erst seit vierundzwanzig Stunden«, antwortete Kate kleinlaut.
»Und – könnt ihr etwas anfangen damit?«, wollte Nathan wissen.
Norman schenkte ihm einen mitleidigen Blick. »Hallo – dieses Zeug ist Dynamit.« Dabei krallte sich seine Hand um die Kopien wie die Katzenpfote um die Maus. »Die sind gut. Das sind Profis, Mann. Wo ist der Rest des Reports?«
»Verkohlt«, knurrte Joe.
»Verdammt!«
Nathan räusperte sich. »Richtig. Da wir nun alle genügend frustriert sind, können wir uns wieder dem Fall widmen, einverstanden?« Er legte eine Pause ein, bis alle seinen angewiderten Gesichtsausdruck gesehen hatten, dann wiederholte er die erste Frage: »Was steht in dem Wisch?«
Zur seiner Überraschung antwortete der stille Jason: »Trojaner im Cache des Supervisors triggern die Schläfer im Sekundärkreislauf der Verteiler.«
»Raffiniert.
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