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Shutdown

Shutdown

Titel: Shutdown Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansjörg Anderegg
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Dieser »fucking« Regen war in jeder Hinsicht ein Geschenk des Himmels.
     
    San Leandro, Kalifornien
     
    Sie näherte sich der Davis Street, nahm den Fuß vom Gas, um rechts abzubiegen. Die Hand am Steuerrad wollte nicht. Eine unbekannte Kraft stieß sie weg von der Straße, an der ihre Fabrik stand, zwang sie, geradeaus weiterzufahren. Sie atmete auf, als fiele eine schwere Last von ihr, während sie sich von der Fabrik entfernte. Dieses Gefühl war neu. Noch am Tag zuvor hätte sie sich nie im Traum ausgemalt, einmal nicht gerne zurückzukehren zu ihrer seltsamen, heißgeliebten Familie. Jetzt, nach der Flucht aus San Francisco, war alles anders. Zumindest ahnte sie das Schlimmste, und das machte ihr Angst. Ja, Angst war die unbekannte Kraft, die sie weitertrieb zum Strand bei der Marina, als wollte sie das Unausweichliche so lang wie möglich hinauszögern. Sie ließ den Pick–up am Straßenrand stehen und schlenderte zum Kai, wo sie vor nicht allzu langer Zeit mit Emma gesprochen hatte. Das Thema damals war dasselbe, doch diesmal konnte sie nur mit sich selbst reden. Wo sollte sie beginnen? Welche Fragen sollte sie sich stellen, wenn alle zur selben Antwort führten? Die Truppe musste sich auflösen. Sie mussten die Fabrik aufgeben. Es war zu gefährlich geworden. Das war und blieb die klare Antwort auf all die Beschwichtigungen und Einwände, die sich ihr Hirn in quälender, lustloser Arbeit einfallen ließ. Die Familie existierte nicht mehr. So ähnlich musste es Kindern ergehen, deren Eltern sich aus heiterem Himmel für immer trennten.
    Es begann schon zu dunkeln, als sie traurig zum Wagen zurückschlurfte, als hätte sie Blei an den Füssen. Sie war so mit sich selbst beschäftigt, dass sie das Geräusch erst bemerkte, als sie die Tür schließen wollte. Der Gesang eines landenden Jets. Ungläubig stieg sie nochmals aus. Sie rannte zurück zum Park, blickte übers Wasser zum Flughafen. Das Flugzeug steuerte den Oakland International Airport an, als gäbe es keinen totalen Blackout. Am Flughafen brannten die Scheinwerfer. Die Häuser der Anwohner blieben dunkel, aber vereinzelt flammten Lichter auf an der Küste und jenseits der Bucht, als füllten sich die leeren Adern der Bay Area allmählich wieder mit Blut. Was für ein Freudentag, dachte sie bitter. Schweren Herzens kehrte sie zum Auto zurück, drehte sie den Zündschlüssel und startete zur längsten kurzen Reise, die sie je unternommen hatte.
    Aus den Räumen auf der ersten Etage drangen Fetzen angeregter Unterhaltung, dazwischen Mikes spöttisches Gelächter. Jen blieb kurz stehen auf der Treppe, um das Glück ungetrübter Lebensfreude vielleicht noch ein letztes Mal zu genießen. Manchmal beteiligte sie sich an den langen Gesprächen in der blauen Stunde bei einbrechender Dämmerung oder morgens um zwei. Öfter aber lauschte sie nur, schnappte wichtige Gedanken auf, Erkenntnisse und Zusammenhänge, von denen sie vorher keine Ahnung hatte. Die andern besaßen alle ihren College–Abschluss, Emma gar den Doktortitel. Sie selbst hatte sich im Wesentlichen alles Wissen, das sie interessierte, im Selbststudium aneignen müssen, ohne Tutoren und Professoren. Aber sie lernte schnell, und die Truppe behandelte sie respektvoll als Ihresgleichen. Das gab ihr ein ganz neues Gefühl der Geborgenheit, Familie eben, intakte Familie, um genau zu sein. Nach einem tiefen Seufzer trat sie ein.
    »Er will das FBI einschalten, der Idiot«, lachte Mike laut.
    Linda schien gerade zu erwachen. »Wer?«
    »Die Ratte. Hörst du nicht zu?«
    »Übermittlungsfehler.«
    Er schüttelte den Kopf. »Wie auch immer, der gute Zach Rant will das FBI einschalten. Jetzt, da der Scheiß bald vorbei ist und die Feds praktisch die Kontrolle übernommen haben.«
    »Was meinst du mit vorbei?«, wunderte sich Emma.
    »Die Lichter gehen wieder an. Schau mal hinaus, statt auf den Bildschirm oder in deine gescheiten Bücher.«
    »Fragt sich nur: Welche Lichter?«, brummte Jezzus. Er schien wieder auf einer Habanero zu kauen.
    Emma nickte heftig. »Genau das ist die Frage. Hat von euch mal jemand Nachrichten gehört in letzter Zeit? ›PACTA‹ erreichte am letzten Freitag zum ersten Mal die Mehrheit in Senat und Repräsentantenhaus gemäß Umfrage.«
    »Umfragen«, bemerkte Mike abschätzig.
    »Ich weiß. Eine Funktion mit vielen Variablen, aber nicht der Funktionswert allein ist erschreckend. Die Ableitung nach der Zeit stört mich. Die Zustimmung steigt nämlich rasch an.«
    Jezzus

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