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Shutdown

Shutdown

Titel: Shutdown Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansjörg Anderegg
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Grund sein, weshalb Mikes Experte keinen Erfolg hatte.
    »Gibt es unter den unverschlüsselten Files eines, das nicht zu allen andern passt? Damit meine ich zum Beispiel einen Text, der irgendwie deplatziert wirkt. Ein Gedicht vielleicht?«
    »Was erwartest du von einem Gedicht?«
    »War nur ein Beispiel«, murmelte sie und suchte weiter.
    Falls ihre Vermutung zutraf, mussten sie den Schlüssel finden, sonst gab es keine Möglichkeit, den Text zu dechiffrieren. So alt die Methode war, mit bloßem Probieren kam man niemals in vernünftiger Zeit ans Ziel. Es würde allerdings auch Tage dauern, alle Dateien von Carmen Tates Telefon zu durchforsten.
    »Du hast doch die Daten angesehen. Ist dir nichts Ungewöhnliches aufgefallen. Ein File, das scheinbar in keiner Beziehung zum Rest der Daten steht?«
    Jen schüttelte betrübt den Kopf. »Darauf habe ich nicht besonders geachtet. Ich wusste ja nicht – aber nein, mir ist nichts aufgefallen.«
    Emma musterte sie, als fände sie die Antwort in den Falten auf ihrer Stirn.
    »Könnte der Schlüssel in den Dateinamen stecken?«, fragte Jen wohl nur, um das Schweigen zu brechen.
    »Zu kurz. Es muss ein ziemlich langer Text ... Moment!«
    Während sie antwortete, fiel ihr das Muster in den Namen der verschlüsselten Dateien auf. Sie hatte die Namen für automatisch erzeugte Zeichenfolgen gehalten. Sie begannen alle mit demselben Präfix und endeten mit einer vierstelligen Zahl.
    »Das sind Webadressen!«, rief sie aus.
    Sie kopierte die erste Zeichenfolge ins Adressfeld des Browsers, fügte vorn den Standardtext ›http://www.‹ ein und löschte die vier Ziffern am Schluss, dann drückte sie auf die ENTER Taste. Mit angehaltenem Atem warteten sie auf die Antwort. Sie bestand aus einem einzigen langen Text, der so begann:
     
    Dem Engel der Gemeinde in Ephesus schreibe: Das sagt, der da hält die sieben Sterne in seiner Rechten ...
     
    »Ein Bibelspruch, ich fasse es nicht«, murrte Jen enttäuscht.
    »Genau was ich gehofft habe. Ich glaube, wir haben den Schlüssel.«
    »Das verstehe ich nicht.«
    »Wart's ab.«
    Sie kopierte den ganzen Bibeltext in eine Zwischenablage, die sie mit ihrer Programmiersprache bearbeiten konnte. Die Zahl am Ende des Filenamens lautete 0000. Das war die Startposition für die Übersetzung, das erste Zeichen des Bibeltextes in diesem Fall. Um ihren Verdacht zu erhärten, entzifferte sie den Anfang des verschlüsselten Texts mühsam von Hand. Nach zehn Minuten zeigte sie Jen die ersten Wörter des Klartextes: NACHWEIS DER ZAHLUNGEN AN .
    »Ich drehe durch«, krächzte ihre Freundin und grinste bis über beide Ohren. »Wie hast du ...«
    »OTP, One-Time-Pad, eine alte Methode, aber absolut nicht zu knacken ohne Schlüssel.«
    Emma erklärte ihr den einfachen Algorithmus. Nach kurzer Zeit hatten sie das kleine Programm beisammen, das die Texte in wenigen Sekunden entschlüsselte.
    »Die Bibel ist ja doch zu etwas gut«, freute sich Jen.
    Sie vergrub sich in die entschlüsselten Texte, vergaß die Umgebung, ihre Freundin, reagierte nicht mehr auf Fragen. Emma zog sich schmunzelnd zurück. Jen und sie tickten ganz ähnlich, wenn es ums Lösen von Rätseln ging. Sie setzte sich draußen auf eine Bank und zog ihr Notizbuch hervor. Den Beweisansatz vom Vorabend musste sie wieder streichen. Er führte zu einem Widerspruch. Schade.
     
    Jen verstand allmählich, worum es sich bei den Texten handelte. Es waren die Kapitel eines Reports über verdächtige Geschäftstransaktionen im Medienkonzern ›TNC‹. Der Bericht war nur für die Augen des Chefs, Donald Goodman, bestimmt. Eine Direktorin Patricia Farmer hatte Beweise für illegale, verdeckte Spenden an Kongressabgeordnete gesammelt, die über Konten von mindestens zwanzig verschiedenen Zeitungen des Konzerns gelaufen waren. Carmen Tate wurde mit keinem Wort erwähnt. Der Bericht hatte scheinbar nichts mit ihr zu tun.
    »Patricia Farmer«, murmelte sie nachdenklich.
    Sie erinnerte sich an den Namen. Er tauchte oft in den alten Mails auf, die sie bisher kaum beachtet hatte. Carmen Tate empfing damals eine Menge Anweisungen von Pat Farmer, ihrer Chefin. In andern Mails beklagte sie sich über den ›Kaktus‹ Pat.
    Sie tauchte tiefer und tiefer in die verwirrenden Innereien der ›Trusted News Corp.‹ ein und vergaß die Zeit. Erst als der Rücken zu schmerzen begann, richtete sie sich auf. Sie streckte die Glieder, schüttelte sich in der Hoffnung, den Ballast irrelevanter Informationen abzuwerfen. Was

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