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Shutdown

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Titel: Shutdown Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansjörg Anderegg
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dem Kopf zum Haus und steckte die Zigarette wieder ein.
    Die Frau, die sich Cactus nannte, glich auf den ersten Blick in keiner Weise dem Bild von Pat Farmer aus dem Internet. Ihr schlohweißes Haar war zu einem Pferdeschwanz gebunden und betonte das von der Sonne gegerbte, lederne Gesicht. Eine dunkle Brille mit großen Gläsern verdeckte ihre Augen. Jen musterte sie mit zunehmendem Unbehagen.
    »Sie interessieren sich für meine Kakteen?«, fragte die Künstlerin lächelnd.
    Jen war am Ende mit ihrer Geduld. »Ich suche Pat Farmer«, sagte sie ohne Umschweife.
    Die Frau zeigte keine Reaktion, die auf Nervosität schließen ließ, doch Jen hätte zu gerne gewusst, was sich hinter den dunklen Gläsern abspielte.
    »Pat Farmer? Nie gehört, tut mir leid. Warum suchen Sie ausgerechnet hier bei uns?«
    »Sie liebt Kakteen. Man nannte sie auch Kaktus.«
    Die Künstlerin lachte. »Ach so, Sie halten sie für eine meiner Kundinnen.«
    »Nein. Sie soll vor vier Jahren nach Santa Fe gezogen sein.«
    »Na dann – ich kann Ihnen leider nicht weiterhelfen.«
    Ihr Gegenüber wirkte jetzt auch ungeduldig. Zeit, sie aus der Reserve zu locken, dachte Jen.
    »Eine letzte Frage noch: Seit wann wohnen Sie in dieser Stadt?«
    Diesmal reagierte sie heftig: »Verlassen Sie bitte das Haus.«
    Jen murmelte eine Entschuldigung und wandte sich zögernd um. Voller Zweifel schritt sie zur Tür. War diese Künstlerin, die einer Ureinwohnerin der Hochebene ähnlicher sah als dem Bild im Internet, doch nicht die Gesuchte? Wie sollte sie das gegen ihren Willen je herausfinden? In diesem Haus ließ sie ihre letzte Hoffnung zurück. Der Gedanke lähmte sie so sehr, dass sie kaum die Kraft aufbrachte, die schwere Holztür zu öffnen. Das Licht blendete sie, aber der kurze Blick durch den Spalt genügte, um die Gestalt im Vorgarten zu erkennen. Der Marshal! Heißes Blut schoss ihr in die Schläfen. Der Atem stockte, als schnürte Adams Faust ihr die Kehle zu. Augenblicklich warf sie die Tür wieder ins Schloss und wich zurück. Ihre Gedanken rasten, doch was sie als Nächstes mit belegter Stimme sagte, kam direkt aus dem Bauch:
    »Carmen Tate und ›TNC‹ werden wohl nie zur Rechenschaft gezogen.«
    »Was sagen Sie da?«, brauste die Künstlerin auf, als hätte sie eines ihrer Modelle gestochen.
    Vor Aufregung nahm sie die Brille ab, um den Eindringling mit Adleraugen zu prüfen, der es wagte, diese Namen in ihrem Haus auszusprechen. Augen und Nase stimmten mit Jens Erinnerung an das Bild der Gesuchten überein.
    »Sie sind Pat Farmer, nicht wahr?«, sagte sie lächelnd.
    Statt zu antworten, gab ihr die Frau das Zeichen, ihr zu folgen und ging den Flur hinunter, der weiter ins Haus hineinführte.
    »Sie können sich in der Küche nützlich machen«, bemerkte sie unterwegs.
    Seit der Zeit im Heim hatte Jen keine ganze Bohnenhülse mehr in den Händen gehalten, Gemüse und Messer zugleich schon gar nicht. Dennoch: Der Haufen Grünzeug, den Pat ihr zum Rüsten hinstellte, hätte zehnmal größer sein können, ohne ihre gute Laune im Mindesten zu trüben. Sie würde mit Freude Minestrone für hundert Kunstschmiede zubereiten, nur um mit dieser Frau sprechen zu dürfen.
    »Erzählen Sie mir von Carmen Tate«, sagte Pat, während sie die klein geschnittenen Karotten vom Brett zum andern Gemüse in die Schüssel schob.
    Es war Jens letzte, ganz große Chance, den Knoten um die ›Black Hats‹, den undurchsichtigen Reporter, Carmen Tate und die Krake mit den unzähligen Tentakeln, die sich ironischerweise ›Trusted News Corp.‹ nannte, endlich zu entwirren. Sie hatte keine andere Wahl, als Pat Farmer zu vertrauen, also erzählte sie ihr die ganze Geschichte haarklein. Nur Rebecca alias Claire verschwieg sie, um die kaum verheilte Narbe nicht wieder aufzureißen. Pat unterbrach sie nicht ein einziges Mal, bis die Geschichte im Künstlerkollektiv am Santa Fe River endete. Das Gemüse in der Bratpfanne verbreitete salzige, aromatische Düfte. Es roch warm und rot wie die Lehmziegel am Nachmittag. Pat goss die Brühe darüber, rührte und legte den Deckel auf die Pfanne. Dann wandte sie sich mit ernstem Gesicht an Jen und sagte:
    »Du hast keine Vorstellung, mit wem du dich anlegst, mein Kind.«
    »Ich muss aber herausfinden, was ›Trusted News Corp.‹ mit den ›Black Hats‹ verbindet«, erwiderte sie trotzig. »Diese Hacker sind für den katastrophalen Blackout verantwortlich, der beinahe ganz Kalifornien in die Knie gezwungen hat. Ihnen haben wir es zu

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