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Shutdown

Shutdown

Titel: Shutdown Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansjörg Anderegg
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und zog es vor, die kurze Zeit bis zu ihrer Kapitulation im Schließfach des Flughafens zu warten.
    Sie überlegte nicht zum ersten Mal, wie sie das Problem ohne Pat Farmer lösen könnte, doch in ihrem Kopf schwirrten zu viele Gedanken umher, die dort nichts zu suchen hatten. Ein ›Reboot‹ drängte sich auf. Sie holte tief Luft, bis ihr Atem stockte, als wäre die Atmosphäre plötzlich schockgefroren. Ein leicht süßlicher Geruch wehte vom Denkmal zu ihr herüber. Er war ihr zuerst aufgefallen, als sie aus dem Shuttle stieg, das sie von Albuquerque hierher gebracht hatte. Sie schielte mit gesenktem Kopf zur Gruppe junger Mädchen, die sich für ein Foto aufstellten. Ihre Nase täuschte sie nicht. Etwas abseits hinter den Schönen stand er, ungewöhnlich groß für einen Mann mit mexikanischen Gesichtszügen. In der dunklen Kleidung mit dem Stetson auf dem Kopf glich er den US-Marshals aus dem Film, den sie einst für T-Rex heruntergeladen hatte. Der Mann verfolgte sie. Er hatte sie schon bei der Befragung der Taxifahrer beobachtet und dann selbst mit den Fahrern gesprochen. Jetzt stand er zufällig in ihrer Nähe, gab vor, sich nicht für sie zu interessieren. Sie glaubte nicht an solche Zufälle.
    Das erste Foto der Mädchen war im Kasten. Fürs zweite wechselten sie die Positionen. Jen nutzte die Gelegenheit, um unbemerkt hinter den nahen Busch zu verschwinden. Ohne einen Blick zurück drängte sie sich zwischen die Schaulustigen vor den Auslagen der Kunsthandwerker. Sie driftete langsam in der Menge weg von der Plaza in Richtung Kathedrale, getrieben von der Furcht, jeden Moment die Hand des Marshals auf der Schulter zu spüren. Erst vor den Toren der Kirche wagte sie sich umzudrehen und atmete auf. Der Marshal war nirgends zu entdecken. Die Anspannung ließ nach. Sie traute sich wieder, ab und zu einen Blick in die Schaufenster zu werfen. Die Galerien in dieser Stadt führten ein unerklärliches Eigenleben. Wo sie hinblickte, schossen neue wie Pilze aus dem Boden. Für jede Kunsthandlung, in der sie vergeblich nach Pat Farmer fragte, entstanden zwei neue gleich um die Ecke. Ihre Suche war ein Programm, das niemals anhalten würde, der Albtraum jeder Programmiererin. Immerhin war sie den Marshal los, wenigstens für den Augenblick.
    Sie durfte nicht länger ziellos umherirren. Es wurde Zeit, die Übung abzubrechen, doch ihr Bauchgefühl hinderte sie daran, den nächsten Shuttle zum Flughafen zu besteigen. Irgendeinen Hinweis hatte sie übersehen. Sie blieb vor einer Auslage mit Gemälden stehen, als fände sie die Antwort in den Bildern. Kakteen, nichts als stachelige, haarige Kakteen in allen Varianten und Lichtverhältnissen hatte der Künstler auf der Leinwand festgehalten.
    »Pervers«, murmelte sie befremdet.
    Die Erinnerung traf sie wie ein Schlag. Kaktus war der Spitzname, den sich Pat Farmer bei  ›TNC‹ eingehandelt hatte. Aufgeregt betrat sie das Geschäft und fragte nach dem Künstler.
    »Es ist eine Frau im Künstlerkollektiv unten am Fluss«, antwortete der Galerist. »Sie malt ausschließlich Kakteen, seit Jahren schon. Man kennt sie nur unter ihrem Pseudonym. Sehen Sie hier.«
    Er zeigte auf die Signatur des Portraits eines furchteinflößenden Gestrüpps. Sie konnte den Namen deutlich lesen: Cactus.
    »Unten am Fluss sagten Sie?«
    »Folgen Sie der Straße weiter hinunter, dann rechts. Es ist das dritte Haus. Sie können es nicht verfehlen. Alle Pflanzen im Vorgarten sind aus Eisen geschmiedet.«
    Nicht nur die Pflanzen, stellte sie bald fest. Auch der scheinbar aus Stein gehauene Springbrunnen bestand aus Eisen, ebenso der einäugige Papagei. Hinter dem Haus stieg Rauch in den Himmel. Hammerschläge zeugten vom Schmied an der Esse. Sie konnte die Funken bis in den Vorgarten riechen. Der Papagei verblüffte sie. Warum fehlte das rechte Auge?
    »Im Atelier gibt’s eine ganze Sammlung davon«, sagte eine dünne Stimme.
    Das Männchen stand im Schatten, halb versteckt hinter einer Säule. Es grinste sie freundlich an und steckte eine Zigarette in den Mund.
    »Ich bemale sie. Sie können sie gerne ansehen.«
    Der Mann blickte sie aus zwei Augen an, die sich nicht zu vertragen schienen. Irritiert starrte sie zurück, bis sie begriff, dass sein rechtes Auge ein Glasauge war. Sie räusperte sich verlegen, bevor sie antwortete:
    »Danke. Toller Vogel, aber ich suche eigentlich Cactus.«
    »Cactus ist auch gut. Kocht für uns, müssen Sie wissen. Spitze.«
    »Wo finde ich sie?«
    Er deutete mit

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