Shutdown
kurz, worum es geht, dann muss ich in die Schule.«
Jen rümpfte die Nase. »Ich dachte, du hättest lang genug die Schulbank gedrückt.«
»Hier gibt es keine Schulbänke. Ich unterrichte das Dutzend Schüler in Mathe und Englisch. Das macht Spaß.«
»Schule und Spaß vertragen sich nicht.«
»In Geiranger schon«, lächelte sie.
Jen suchte offenbar noch immer nach den ›Black Hats‹. Sie ließ nicht locker wie eine Raubkatze, die Beute gerochen hat. Sie bewunderte ihre Freundin für diese Beharrlichkeit und Hingabe, obwohl sie sich selbst kaum mehr für diese Hacker-Geschichte interessierte. Der Zusammengang zwischen den verschlüsselten Daten in Carmen Tates Telefon und den Verursachern des Blackouts blieb ihr nach Jens kurzer Schilderung schleierhaft. So würde es wohl auch bleiben. Die Aufgabe hingegen reizte sie, Texte zu entschlüsseln, an denen sogar Mikes Experte gescheitert war.
»Du musst mich jetzt entschuldigen. Die Schüler warten. Um zwölf treffen wir uns wieder hier. Dann reden wir weiter, O. K.?«
»Und was mache ich inzwischen?«
»Du könntest ein Stück die Adlerstraße hoch gehen. Dort oben siehst du Norwegens ganze Pracht auf einen Blick.«
Jen rümpfte die Nase und trottete wortlos davon. Die Rolle der müßigen Reisenden schien ihr nicht zu behagen, wie Emma wenig später bei einem Blick aus dem Schulzimmerfenster feststellte. Ihre Freundin saß wieder auf der Mauer und kaute gelangweilt an einem Stück Brot.
»Die scheinen tatsächlich Freude zu haben an deinem Unterricht«, bemerkte Jen in der Mittagspause erstaunt. »In meinen Klassen gab es nur ›Flatliner‹, mich eingeschlossen.
»Du meinst Schüler ohne messbare Hirnaktivität?«
Sie nickte grinsend. »Im Tiefschlaf waren wir aktiver als in der Schule.«
»Du hast die Zeit offenbar ohne Langzeitschäden überstanden.«
Unter dem Protest der Schüler hatte sie die Lektionen des Nachmittags mit einem Kollegen abgetauscht. Sie war frei, sich um Jens Problem zu kümmern und schlug vor, dies auf ihrem Hof zu tun.
»Warum nicht gleich? Ich habe deine Software auf dem Laptop.«
»Darum geht's doch nicht«, lachte sie. »Ich dachte, der Ausflug mit dem Boot, das alte Holzhäuschen mit dem Grasdach hoch über dem Fjord, die Ziegen und das Zicklein würden dir gut tun.«
»Ach darum stinkst du so. Igitt.«
Sie bemerkte keinen Anflug von Ironie auf Jens Gesicht und gab auf. Ihre Freundin wollte ein Problem lösen, nur darum ging es, genau wie früher in der Fabrik. Sie ging mit ihr zurück in die Schule, ins Vorbereitungszimmer, wo sie ungestört arbeiten konnten.
»Dein Haus würde mich schon interessieren ...«, sagte Jen unvermittelt, während sie den Laptop auspackte.
»Gib dir keine Mühe. Lösen wir erst dein kleines Problem, dann sehen wir weiter.«
»Du bist also Bäuerin und gibst nebenbei ein wenig Schule?«
»Und ich schreibe an einem Lemma zu P=NP.«
Jen sah sie verblüfft an. »Ist das Norwegisch?«
»Mathematik. Komplexitätstheorie, genauer gesagt. Es ist eine Fortsetzung meiner Dissertation. Das ist mein Problem, das mich nicht in Ruhe lässt.«
»Und darüber zerbrichst du dir den Kopf in deinem Holzhaus?«
»Genau. Die frische Luft fördert das Denken.«
»Und was hat der Lemming damit zu tun?«
Jen stellte die Frage mit derart treuherzigem Blick, dass sie laut auflachte. »Lemma, nicht Lemming. Ein Lemma ist ein Satz, den man als Zwischenschritt beweisen will, um einen umfangreicheren Beweis zu führen.«
Jen zuckte die Achseln. »Hört sich kompliziert an.«
»Ist es auch. Sonst hätte die Sache keinen Reiz.«
Sie sah sich die erste der verschlüsselten Dateien an, um sich einen groben Eindruck zu verschaffen. Wie erwartet, konnte sie keine Muster erkennen, Codes, die häufiger als andere auftraten, Zeichenfolgen, die sich wiederholten. Der Text schien nichts als eine unsinnige Zeichenreihe zu sein. Buchstaben und Ziffern, keine beliebigen Bit-Folgen, das war immerhin bemerkenswert. Sie lehnte sich zurück und dachte nach.
»Was ist, machst du nicht weiter?«
Sie antwortete nicht, vergewisserte sich stattdessen, dass die andern Texte des Ordners nach demselben Muster verschlüsselt waren.
»Sieht nicht nach moderner Kryptografie aus«, bemerkte sie schließlich.
»Was soll das heißen?«
»Die haben mit Sicherheit kein Public-Key Verfahren angewandt. Das Analyseprogramm können wir vergessen.«
»Scheiße.«
Es musste sich um ein primitives, altes Verfahren handeln. Das mochte der
Weitere Kostenlose Bücher