Sibirisches Roulette
eines Bären hat er.« Voll Stolz fügte er hinzu: »Meine Tochter hat ihn fabelhaft operiert.«
»Ein zäher Hund!« sagte dagegen Meteljew. »Noch einige Arbeit wird er uns machen.«
»Zwei Zentimeter tiefer, und alles wäre vorbei gewesen …« Krasnikow hatte sich noch immer nicht beruhigt über sein Mißgeschick. »Verdammte zwei Zentimeter … so klein ist die Strecke zwischen Leben und Tod!«
»Ein Irrtum, Victor Ifanowitsch! Ein Meter und achtzig Zentimeter sind es.« Meteljew zeigte mit der flachen Hand vom Boden aus die Höhe. »So groß etwa ist Walja Borisowna; ihre Operation hat Nasarow gerettet. Hervorragend, diese Ärztin. Beneiden kann man unseren Nachbarn.«
Aus ihrer Liste der Verdächtigen hatten sie Jugorow, den freundlichen Nachbarn, gestrichen. Er war ein guter und fleißiger Traktorfahrer, Waljas Geliebter, jederzeit zur Hilfe bereit, immer zur Stelle und nie ohne ein Lachen auf den Lippen: ein Mensch, den man sich zum Freund wünschen würde. Der ›Spezialist‹, den sie suchten, war ein Schatten geblieben – ein drohender Schatten. Jeden Tag konnte er wieder zuschlagen; ja, Krasnikow und Meteljew warteten geradezu darauf, denn nur so, in Aktion, hatte man die Möglichkeit, eine Spur von ihm aufzunehmen. War's still um ihn, würde alles Suchen völlig sinnlos sein. Wo suchen? In Lebedewka, wie der zutiefst in seiner Seele getroffene Niktin behauptete? Mit General Tjunin hatte Krasnikow mehrmals gesprochen, sich lange Vorwürfe angehört und dann geantwortet: »Genosse General, ein Mensch wie Niktin, dessen Ehre man beschmutzt hat, verliert den richtigen Blick. Da ist oben gleich unten, an der Decke geht er spazieren. Mag sein, daß unser Mann sich in Lebedewka verborgen hält, mit Gewalt bekommen wir ihn nicht aus seinem Nest. Überlistet muß er werden.«
»Schwer wird das sein«, sagte Tjunin warnend. »Hochintelligent ist der Kerl.«
»Auch der schlaueste Fuchs läuft einmal in die Falle.«
»Aber wann?«
»Das ist es, Genosse General. Zeit muß man uns lassen. Jede Ungeduld verschlechtert unseren Erfolg. Auch der ›Spezialist‹ spielt mit der Zeit. Wir müssen das Spiel mitmachen.«
»Immerhin konnte er Nasarow fast töten!« sagte Tjunin strafend.
»Ob er's wirklich war?« fragte Krasnikow. »Ich glaub es nicht.«
»Wer sonst?«
»Nasarow tot zu sehen, wünschen sich hier viele. Nicht nur in Lebedewka, auch in der Baubrigade. Die Ärztin, die sein Leben rettete, sähe ihn ebenfalls lieber tot.«
»Kompletter Irrsinn, Krasnikow. Sie hatte es doch in der Hand, Nasarow sterben zu lassen. Wieso dann das Gelingen der Operation?«
»Das eine ist die Ärztin, das andere ist die liebende Frau. Als Ärztin war es ihre Pflicht, Nasarow zu retten. Jugorow trifft das am härtesten, denn ihm wollte Nasarow an die Gurgel, wie Walja Borisowna aussagte.«
»Wer ist Jugorow?«
Zum erstenmal hörte General Tjunin diesen Namen. Er notierte ihn auf seinem Schreibblock und umrandete ihn.
»Igor Michailowitsch Jugorow. Traktorfahrer bei der Brigade. Ein angenehmer Mensch. Unser Nachbar, Genosse General.« Krasnikow wußte, was Tjunin jetzt dachte, und schaltete diesen Gedanken aus. »Ist überprüft worden. Genau überprüft und beobachtet. Ein guter, harmloser Mensch. Hat sich beim letzten Nachschub Bücher aus Tobolsk mitkommen lassen. Fachbücher über Wasserbau, Bautechnik und Statikberechnungen. Will einmal seinen Ingenieur machen, vielleicht, um Walja ebenbürtig zu sein. Ein ehrgeiziger Genosse.«
»Und diesen Jugorow hatte Nasarow im Visier?«
»Jugorow hatte ihn einmal irregeführt und zum Telefon gelockt. General Pychtin sollte angerufen haben, aber Pychtin war gar nicht da.«
»Und warum hat Jugorow das getan?«
»Um mich zu retten, Genosse General.« Krasnikow holte tief Atem. »Nasarow wollte nach der zweiten Sprengung das ganze Lager sperren, ich habe mich dagegen gewehrt und sollte von ihm verhaftet werden. Nasarow tobte wie ein Irrer. Da half Jugorow mit seinem Trick …«
»Und nichts ist mir berichtet worden!« schrie Tjunin zornig. »Immer nur: Nichts Neues. Nichts Neues! Nichts Neues … wie ein Papagei! Oberleutnant Krasnikow, Sie enttäuschen mich.«
»Für nicht so wichtig hielt ich es, Genosse General«, sagte Krasnikow betroffen. »Gemeldet worden wäre es von Oberleutnant Meteljew, wenn man mich wirklich verhaftet hätte. Angedeutet habe ich's: Nasarow erschwert unseren Einsatz …«
»Angedeutet! Hat man Sie ausgeschickt, mir Kreuzworträtsel zu melden?
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