Sibirisches Roulette
hatte schon Fotos herumgereicht: eine gutaussehende Frau von fünfunddreißig Jahren, schwarzhaarig, mit feurigen Augen, sinnlichen Lippen und einem Lächeln, das wie eine stille Aufforderung wirkte. Wie Niktin an eine solche Frau gekommen war, blieb allen, die diese Fotos sahen, ein Rätsel. Abgöttisch liebte er sie, das war verständlich. Weniger verständlich war, daß dieses Wunder von Frau Niktins Liebe erwidern konnte.
»Wie ein Fürst leben Sie, Boris Igorowitsch«, sagte Niktin zu Schemjakin, als die Dosen mit Kaviar und Störfleisch im Sonderkühlraum des Magazins verschwanden. »Man könnte sogar sagen: kapitalistisch …«
»Nichts davon habe ich angefordert, man hat es mir geschickt!« antwortete Schemjakin abweisend. »Sollten Sie hierbleiben, Jossif Wladimirowitsch, profitieren auch Sie davon.«
»Ein Grund wäre das, bei Ihnen zu überwintern!« rief Niktin und schluckte wieder in sehnsüchtiger Vorfreude. »Ein absoluter Grund! Kann man so leben in Tobolsk? Was sagte mir meine Majanka am Telefon? Anstellen mußte sie sich für gekochten Schinken, zwei Stunden lang. Dann drei Stunden für vierhundert Gramm Wodka. Weg war der halbe Tag! Und hier, bei Ihnen, in der Wildnis: da rasselt es kistenweise in die Kammern. Soll es, mein lieber Boris Igorowitsch, soll es auch … der Arbeiter ist der wichtige Mann im Staate. Hier am Kanal besonders. Welch eine Freude, auch dazuzugehören …«
Aber nicht nur Verpflegung war aus Tobolsk gekommen, auch das Kleidermagazin wurde aufgefüllt: Anzüge, Schuhe und Stiefel, dicke warme Wollpullover, Steppjacken und Stepphosen, Pelzmützen mit Ohrenschützern, wollene Hemden und innen aufgerauhte Winterunterwäsche, Wollstrümpfe und breite Wollschals. Sogar neunzehn Pelzjacken hatte man geliefert, wenn auch allerdings zu einem Preis, daß ein normaler Arbeiter sie nur als Ausstellungsstück bestaunen konnte.
Der Winter sagte sich an. Noch war es ungewöhnlich warm, das Laub hing noch an den Ästen, in allen Farben leuchtend vom blassen Gelb bis zum flammenden Rot; ein wogendes buntes Meer von einer Schönheit, die in die Seele drang. Doch nur ein einziger Sturm aus dem Osten genügte, um diese Herrlichkeit sterben zu lassen. Und nach dem Wind kam die Kälte, kam der Schnee, kam der Frost, und alles versank in weiße Stille.
Jugorow kam von der Arbeit am Damm zurück, als die Wagenkolonne noch ausgeladen wurde, umringt von den Arbeitern, die jeden Sack Zucker, jeden Karton Nudeln, jedes Faß Kohl mit Rufen und Klatschen begleiteten. Ein kleines Volksfest war's … Die Lager voll, der Winter konnte kommen. Genossen, seht euch das an! Wir werden rund werden wie Mastferkelchen. Nur eins muß man tun: den Genossen Köchen auf die Finger sehen. Da läuft so manches durch, was man uns abzieht. Ist doch bekannt, ihr Lieben, wird überall gemacht. Wer im Fettopf sitzt, erfriert nicht.
Nachdenklich blieb Jugorow eine Weile bei den Lastwagen stehen und sah dem Ausladen zu. Welch eine Fülle, dachte er. Welche Freude bei diesen Menschen. Und welch ein Jammern gibt es bestimmt, wenn all das in einer einzigen Explosionswolke in den Himmel geblasen wird. Ein Nachschub dieser Art und in diesem Umfang wird nicht mehr nach Nowo Gorodjina kommen. Auf einen harten, entbehrungsreichen Winter macht euch gefaßt, Genossen!
Bedrückt von seinen eigenen Plänen ging er hinüber zum Hospital. Walja war gerade mit der Behandlung von vier Arbeitsunfällen fertig geworden, stand am Waschbecken und schrubbte sich Hände und Unterarme.
»Hast du's gesehen?« fragte sie, und helle Freude leuchtete aus ihren Augen. »Was man uns alles gebracht hat! Wer hätte das gedacht? Die Zentrale will uns wohl entschädigen für alle Aufregungen. So ein volles, schönes Lager hatten wir noch nie.«
»Wird auch das Hospital davon versorgt?« fragte Jugorow leichthin.
»Ja.«
»Ihr habt kein eigenes Magazin?«
»Nein. Nur die Apotheke ist bei mir.« Sie trocknete sich ab und kämmte durch ihr Haar. »Wozu ein eigenes Magazin? Gekocht wird für uns ebenfalls in der Zentralküche.«
Sie kam zu ihm, gab ihm einen Kuß und war angesteckt von der allgemeinen Fröhlichkeit im Lager. Nur wer die langen, frostklirrenden Winter kennt, die eisige Einsamkeit Sibiriens, kann ermessen, was ein volles Magazin bedeutet.
»Wie geht es Nasarow?« fragte Jugorow, noch bedrückter als zuvor.
»Gut. Willst du ihn besuchen?«
»Er wird kaum Sehnsucht nach mir haben.«
»Sehr nachdenklich ist er geworden. Er überlegt,
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