Sibirisches Roulette
drückte jedem Soldaten die Hand. »Ihr hört es: Auch bei mir wird befohlen …«
Sie fuhren eine Zeitlang schweigend durch den Wald, kamen an die Stelle, wo sie vorhin ausgestiegen waren, und Jugorow klopfte Walja auf den Arm.
»Nicht halten?« fragte er. Ihre angespannten Backenmuskeln waren eine deutliche Antwort. Sie schwieg verbissen, und deshalb redete Jugorow weiter. »Wie das Moos weich war … wie ein gefedertes Bett. Walja, warum fährst du vorbei …«
»Halt den Mund, bitte!« sagte sie scharf. »Ich möchte heulen, aber keine Witze hören.«
»So schlimm?«
»Noch schlimmer! Genau hat sie geschildert, wie wir Masuk im Sumpf versenkt haben.«
»Du lieber Himmel … wie kommt sie dazu?!«
»Genauso würde sie es auch getan haben … Geträumt hat sie oft, Masuk umzubringen, nur der Mut fehlte ihr dazu. Aber eines Tages, da hätte sie's tatsächlich getan, das weiß ich jetzt.« Sie sah ihn an und fuhr langsamer. »Soja ist die Mörderin, hat sie geschrien. Ersäufen solle man auch sie im Sumpf. Herausprügeln das Geständnis … und sie werden es tun in Lebedewka, das ist mir klargeworden. Und dabei sitze ich auf ihrem Bett, höre mir alles an und bin es in Wirklichkeit selbst, die ihren Mann erschossen hat … Fürchterlich war's, Igor!«
»Es ist vorbei«, sagte Jugorow tröstend.
»Wenn sie mit Knüppeln auf Soja einschlagen, wird sie alles sagen. Nichts ist vorbei, es fängt erst an. Läßt man Svetlana und die anderen frei: Ihr erster Weg gilt dem Schwarzen Haus.«
»Der alte Trofimow wird's ihnen zeigen …«
»Was kann er tun, wenn das ganze Dorf sein Haus stürmt? Wegbrennen werden sie es. Ausräuchern wie eine Wanzenbude.«
»Nichts werden sie tun«, sagte Jugorow mit seltsamer Zuversicht.
»Wer will sie davon abhalten?«
»Schagin … Ich werde mit dem Popen sprechen. Schagin hat schon manches Gute getan.«
Und dabei dachte er an die Sprengstoffkisten, die hinter der Ikonostase standen – im heiligsten Raum der Kirche.
Auf dem Platz zwischen Hospital, Küche, Kesselhaus und Zentralmagazin wurden sie von der Hundemeute begrüßt. Im Zwinger sprangen die Tiere an dem Drahtgitter hoch, heulten vor Freude, als sie Jugorow erkannten und benahmen sich wie toll.
»Halt!« sagte Jugorow. »Ich steige aus.«
»Wieder zu den Hunden?«
»Sie rufen mich. Verstehst du sie nicht? Da, Ilja! An der Tür steht er. Und außerdem habe ich Taiga und Laika versprochen, zurückzukommen. Versprechen muß man halten, Walja. Vor allem bei Frauen … bei schönen Frauen … sonst beißen sie …«
Er sprang aus dem Jeep, rannte zum Zwinger, und die Hunde bellten und tobten, sprangen übereinander und stießen Laute aus, als weinten sie vor Freude.
»Ich bin ja da, meine Lieblinge«, sagte Jugorow in dem bekannten beschwörenden Ton. »Gleich komme ich zu euch. Hol nur das Fleisch ab von dem dicken Tschuptikow. Bin gleich wieder da, meine Kleinen, und dann spielen wir zusammen, und ein neues Märchen erzähl' ich euch …«
»Und allein schlafen wirst du diese Nacht auch!« sagte Walja halblaut. »Nimm dir Taiga oder Laika mit ins Bett!«
Mit aufheulendem Motor startete sie und fuhr weiter zum Hospital.
Tschuptikow ahnte Böses, als Jugorow in die Küche kam. »Dein Eimer steht bereit!« schrie er sofort. »Obendrauf liegen die Haare, die ich mir ausgerauft habe.«
»Will meine Tierchen vergiften, der Fettwanst!« rief Jugorow und drohte mit der Faust. »Einen Speiseplan hab ich aufgestellt. Komm her!«
»Was hast du?« fragte Tschuptikow und klammerte sich an einen Kessel, als habe er Angst, man wolle ihn entführen. Das Abendessen hatte er gerade für gut befunden; in zehn Minuten konnten die Schalter zur Ausgabe geöffnet werden.
»Was gibt es heute?«
»Grützsuppe mit Hühnerfleisch.«
»Was gab es gestern?«
»Hast's ja selbst gefressen! Kohlrouladen!«
»Und morgen?«
»Linsensuppe.«
»Wie abwechslungsreich! Und meine Hündchen sollen nur das gleiche bekommen? Tag für Tag? Sollen jammern vor der Gleichförmigkeit? Tschuptikow, du Barbar! Du tatarischer Schnurrbartkauer! Komm her, lies den Speiseplan.«
»In die Latrine häng ihn!« brüllte Tschuptikow. »Ein Arschwisch ist's, mehr nicht.«
»Zu traurig. Ach, wie traurig … Muß ich doch mit meinen Hundchen kommen und ihnen zeigen: Seht dort den dicken Menschen; ja, den Schweinskopf. Will keinen Reis für euch kochen, keine Nudeln, keine Grütze, keine Kartoffeln. Was ist das für ein Mensch? – Und was werden sie antworten,
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