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Sibirisches Roulette

Sibirisches Roulette

Titel: Sibirisches Roulette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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ausgepfiffen wurde und ihm der wilde Kampfruf »Sechstausend Klopse!« entgegendonnerte.
    »Die Gegend sieh dir an«, hatte Niktin seinem Frauchen geraten. »Jetzt, im Spätherbst, kurze Zeit, dann kommt der Regen, weht der Sturm alles weg. Schön wird's erst wieder, wenn der Schnee gefallen ist. Schlittenfahren, mit der Troika, mit Glöckchen am Geschirr der Pferde – wir werden es hier wunderbar haben, mein Liebling.«
    Doch was ist eine flammende Taiga wert, wenn man allein herumstreifen muß? Zu Fuß den Waldsaum entlangzugehen, das war gar nicht nach Majas Geschmack. Bequem liebte sie es, in einem offenen Auto oder in einer Pferdekutsche, wie sie noch der Graf Manykin außerhalb von Tobolsk besaß, auch wenn er sich nicht mehr Graf nannte, sondern Genosse Betriebsleiter und in einer Lederfabrik arbeitete. In Nowo Gorodjina gab es jedoch keine Kutsche, und der einzige offene Wagen war Schemjakins Jeep, den meistens Walja Borisowna fuhr. Allerdings befand sich noch ein uraltes Gefährt in den Unterstellhallen des Lagers. Kaum einer in der Brigade konnte sagen, wie es dorthin gekommen war und was man mit ihm anfangen sollte: Um ein Beutestück aus dem Großen Vaterländischen Krieg handelte es sich, den Faschisten abgenommen, noch immer in den Tarnfarben gestrichen wie vor 41 Jahren, als man es eroberte; ein VW-Kübelwagen, unverwüstlich, wie man sah. Schemjakin hatte ihn bei der Erstausrüstung des Lagers aus Swerdlowsk bekommen, hatte ihn in die Ecke gestellt und nie gefahren.
    »Anrühren soll ich ihn?« hatte er empört gerufen. »Mich dort hinsetzen, wo vorher der Hintern eines deutschen Offiziers gewesen ist? Was mutet man mir zu?!« Und als Walja sagte, es sei doch ein recht stabiler Wagen, und bei Gebrauchtwagen könne man sich den Hintern des Vorbesitzers nicht aussuchen, hatte Schemjakin geknurrt: »Gut, dann nimm du ihn! Die Jugend denkt ja immer, wir Alten seien im Hirn schon tot!«
    Aber auch Walja fuhr den Kübel nicht lange; zu hart war er ihr. Er bohrte sich zwar durch jedes Gelände, aber als der neue Jeep ins Lager kam, stellte man den Faschistenwagen endgültig in die Hallenecke.
    »Wie ist's mit diesem alten Auto?« fragte Maja Petrowna schon am dritten Tag. Niktin war wieder unterwegs. »Dem in der Hallenecke, das buntlackierte Ding meine ich.«
    »Ein deutsches Auto aus dem Krieg.« Schemjakin winkte ab. »Nur warnen kann ich Sie, Maja Petrowna. Einmal rund um das Lager, und Sie haben Schwielen an ihrem unbestreitbar schönen Popo.«
    »Ein Kissen kann man unterlegen oder zusammengefaltete dicke Decken.« Ihre Wangen glühten vor Tatendrang und Begierde, der Langeweile zu entfliehen. »Darf man's mal ausprobieren, Boris Igorowitsch? Tut's der Motor noch?«
    »Wie vor über vierzig Jahren. Ich mag die Deutschen nicht – wer mag sie schon? –, aber Autos bauen, das können sie. Gleich geht die Weisung raus an die Mechaniker. Die sollen den Kübelwagen putzen und fahrbereit machen. Wird eine neue Batterie gebrauchen.«
    Am Nachmittag stand der Faschistenwagen vor Schemjakins Tür, blank geputzt, wie gerade aus dem Werk gekommen, vollgetankt, mit neuer Batterie und einer dicken zusammengefalteten Decke auf den Vordersitzen. Ein weiter Weg von Orel bis Nowo Gorodjina am Tobol. In Orel hatte ein deutscher Hauptmann ihn stehenlassen wegen Spritmangels und war zu Fuß weitergerannt, hinter sich die dunkle Linie vorrückender russischer T-34-Panzer.
    Mit leuchtenden Augen umkreiste Maja Petrowna das Auto, stieg ein, zündete den Motor, der hell und unternehmungslustig klang, gab vorsichtig Gas und rollte davon. Schemjakin, der mit Olga am Fenster stand, winkte ihr nach.
    »Niktin ist doch ein Rindvieh«, sagte er. »Nur einer wie er läßt so ein Teufelchen allein.«
    »Was kann sie hier schon anrichten, Boris Igorowitsch?« entgegnete Olga. »Die Bäume ansingen, Blumen rupfen, den Vögeln zuhören. Mit ihren Pariser Kleidern vermag sie hier doch keinen zu locken. Niktin wußte schon, warum er sie weggeholt hat aus Tobolsk. Halte ihn nicht für blöd. Ein Mann, der irgendwo eine Rubelquelle anzapft, ist kein Idiot.«
    »Fein ausgedrückt«, knurrte Schemjakin und trat vom Fenster zurück. »So rücksichtsvoll, so diskret! Soll ich vielleicht auch anfangen, Zementsäcke zu verschieben? An die Dörfer ringsherum? Was hast du denn im Sinn? Einen Hermelinmantel? Einen Nerz? Seidene Höschen? Ein durchsichtiges Neglige?« Schemjakin nahm seine Mütze vom Haken, er wollte hinaus zum Damm. »Für

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