Sibirisches Roulette
dann die Kälte, der Schnee und das Eis.
»Walja, Sie wundern sich«, sagte Nasarow und gab ihr die Hand. Widerwillig ertrug sie den harten Druck seiner Finger. »Was tut man nicht alles, um zweihundert Soldaten die Langeweile zu vertreiben. Gutes Essen – doch wohin mit der Kraft? Nicht ein einziger Rock zu greifen. Betreten von Lebedewka verboten! Noch, Genossin Ärztin … doch das kann sich schnell ändern. Bis dahin müssen meine Jungs sich austoben und bauen eben Häuser. Da lacht das Herz, jeder Hammerschlag ist ein Gedanke an ein Weibchen.«
»Wie arm dran sind da die Offiziere«, sagte Walja anzüglich. »Sie arbeiten nicht … Ihre jungen Leutnants warne ich, Major: Drei der Küchenmädchen haben einen Tripper!«
»Sofort geht ein Ukas hinaus!« rief Nasarow.
»Vielleicht schon zu spät …«
»Die Sanitäter werden sie untersuchen.« Nasarow verbiß sich die Frage, ob nicht die Genossin Ärztin das übernehmen wolle und zeigte hinüber zu dem Zelt, vor dem wie immer ein Wachposten stand. »Den Schweinehunden geht es gut.«
»Sehen möchte ich sie.«
»Zu jeder Zeit! – Jugorow hat es also vorgezogen, sich nicht auszuziehen«, sagte er spöttisch. »War er nicht gewaschen?«
»Im Gegenteil, Genosse Major: Weil er so sauber ist, war's ihm ein Ekel, sich bei Ihnen schmutzig zu machen.« Damit wandte sie sich ab.
Nasarow sah ihr nach, wie sie über den Appellplatz hinüber zum Geiselzelt ging, hochbeinig, schlank, stolz. Er seufzte tief. Noch einmal ein langer Blick … schließlich drehte er sich um und ging in die Kommandantur.
Ohne vom Posten aufgehalten zu werden, betrat Walja das Zelt. Sofort sprang Beljakow auf, stürzte auf sie zu, ergriff ihre Hände und küßte sie.
»Im Namen aller!« rief er. »Ein Engel sind Sie. Ein Engel. Unser Engel. Wir leben noch … Wer hätte das erwartet.«
»Wir dürfen auf eine richtige Toilette!« rief jemand aus dem Hintergrund.
»Bekommen das Essen der Soldaten!«
»Haben Decken und Betten …«
»Und man schlägt uns nicht mehr«, sagte Marfa Jakowna, die Frau des Schreiners Kabanow. »Genossin, wie geht es meinen kleinen Kindern? Versorgt mein Mann sie gut? Kümmern die Nachbarn sich darum?«
»Und Vater? Großvater? Großmutter? Die Geschwister?« Beljakow strahlte das Glück aus den Augen. Sie ist gekommen, sie ist wiedergekommen, zu mir gekommen, ich habe ihre Hände geküßt, ihre Wärme gespürt, ihren Blick begriffen … und er küßte ihr wieder die Hände, bis Walja sie ihm mit einem festen Ruck entzog. Keine Abwehr sah Beljakow darin; er hätte vor ihr niederknien können, um ihre Schuhe zu küssen. Was störte ihn das Leder, für ihn war's ein seliges Gefühl, ihre Füße küssen zu dürfen. Aber er blieb stehen und straffte sich, als Walja leise zu ihm sagte:
»Wo ist Svetlana Victorowna?«
»Schläft. Da hinten auf ihrem Bett.«
Langsam ging Walja in den Hintergrund des Zeltes und setzte sich auf die Kante des zusammenklappbaren Eisenbettes. Mit der Hand fuhr sie leicht über Svetlanas Gesicht. Im Schlaf sah sie jünger aus, hübscher, hatte um den Mund nicht mehr den verhärmten Zug; verschlossen auch von den Lidern waren die kummervollen Augen … Den Druck der Hand verstärkte Walja. Svetlana schlug die Augen auf und zog schnell die Schultern hoch. Abwehr, Angst und Hilflosigkeit – sofort waren sie da. Doch dann erkannte sie Walja und richtete sich auf.
»Dank für alles, Genossin«, sagte auch sie als erstes. »Danke …«
»Gekommen bin ich, eine Nachricht von Masuk zu bringen …«, begann Walja ganz vorsichtig.
»Ist er jetzt glücklich mit seinem Hürchen? Kennt er noch sein eigenes Haus? Flattert sein Herz noch nicht? Mit fünfzig geht's nicht immer im Galopp …«
»Lew Andrejewitsch ist verschwunden«, sagte Walja. Wie kann man Rücksicht nehmen bei solchen Äußerungen.
»Verschwunden? Ha! Ich lache! Und wo ist Soja Gamsatowna? Auch nicht mehr im Hurenhaus? Zusammen sind sie weg, nicht wahr? Verschweigen Sie es nicht, Genossin Ärztin, ich hab's erwartet. In die Stadt sind sie abgehauen, ein sauberes Paar … Doch soll ich trauern? Wozu! Ohne ihn komme ich aus, brauche ihn nicht. Verrecken soll er in der Stadt, zusammen mit seinem Gossenvogel.«
»Masuk ist verschwunden«, sagte Walja noch einmal. »Allein kam sein Pferd zurück, und Soja hat das Dorf nie verlassen.«
»Das Pferd … allein …?« Svetlana starrte Walja an. Plötzlich begriff sie, daß alles ganz anders war, daß Lew Andrejewitsch sie nicht mit
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