Sibirisches Roulette
Soja verlassen hatte, sondern ausgeritten und nicht wiedergekommen war … nur das Pferd … allein … Sie warf die Arme um Walja wie damals, als sie in Todesangst vor ihr gekniet hatte, die Brüste voller Striemen, und Walja gesagt hatte, es werde alles besser werden, sie verspreche es. »Er … er ist tot?«
»Das weiß man nicht. Drei Tage sind vorbei … kein Zeichen von ihm. Nichts …«
»Sie hat ihn umgebracht«, stammelte Svetlana. »Ja, nur sie. In den Sumpf versenkt hat sie ihn … nur sie, sie allein kennt die besten Stellen, wo ein Mensch nie wieder auftaucht …« Und dann sprang sie unvermittelt aus dem Bett und schrie: »Soja hat Lew Andrejewitsch umgebracht! Getötet hat sie ihn. Mörderin! Mörderin!«
Man kann's begreifen: Die schrecklichsten Minuten ihres Lebens mußte Walja jetzt ertragen. Wie sie es spürt, dachte sie. Getötet und im Sumpf versenkt. Als hätte sie dabeigestanden … nur Soja war es nicht … Ich habe ihn erschossen, Svetlana Victorowna. Mitten ins Herz … Erfahren wirst du's nie …
Mit einem lauten Schluchzen erstarb Svetlanas Totenklage. Die anderen im Zelt hatten den Kopf gesenkt. Nur Beljakow sagte halblaut: »Was kann man ihr beweisen?«
»Man muß sie prügeln, bis sie gesteht!« rief Svetlana. »Ihr die Knochen brechen, wie's üblich war bei den Hexen … Genossin Ärztin …?«
»Ja, Svetlana?«
»Man hat alles abgesucht?«
»Alles. Auch mit Masuks Hund. Er konnte keine Spur aufnehmen, feucht ist der Boden, die Nässe deckt alles zu.«
»Eine Spur! Natürlich gibt es keine Spuren im Sumpf, das weiß jeder. Ha, werft sie selbst hinein, neben Masuk … Sie wird's euch zeigen, um bei ihm zu sein.«
»Warum denn immer der Sumpf?« fragte Walja, und Grauen lag in ihrer Stimme. »Noch andere Stellen gibt es. Warum denkst du immer an den Sumpf, Svetlana?«
»Warum wohl?« Die Masuka ballte die Fäuste, als stünde Lew Andrejewitsch jetzt vor ihr, habe Sojas Geruch an sich und Flecken im Gesicht von Sojas Mund. »Hätt' ich ihn umgebracht – und oft hatte ich den Wunsch, wenn ich ein Messer in der Hand hielt, um ein Huhn zu schlachten, oder ein Beil, um Holz zu zerkleinern, und sein Gewehr hing immer an der Wand, nur wegzunehmen brauchte man's –, wo hätte ich ihn hingebracht? In den Sumpf! Und dann hätte es ebenfalls geheißen: Masuk ist verschwunden, spurlos verschwunden … Wie leicht ist's bei uns, einen Menschen verschwinden zu lassen, für immer, bis zur Ewigkeit.« Sie atmete tief auf, sah Walja mit tränenlosen, starren Augen an und sagte ohne Regung: »Masuk gibt es nicht mehr. Werft Soja in den Sumpf – wie schön wird dann wieder unser Lebedewka sein.«
Walja verließ sehr schnell wieder das Geiselzelt. Bei Beljakow hatte sie noch flugs die Kopfwunde untersucht; sie heilte gut und auch die Augen zeigten keine Schwellung mehr, nur gelbblau waren sie noch umrandet. Während sie ihn untersuchte, saß er mit geschlossenen Augen vor ihr, atmete den Duft ihrer Haut, empfand einen zauberhaften Hauch himmlischer Wärme und flehte innerlich, sie möge ihre Hände, die seinen Kopf abtasteten, niemals mehr zurückziehen. Als er ihre Stimme hörte, verwandelte sie sich in seinen Ohren zu Musik.
Bleib, bettelte er im stillen, bleib nur ein paar Minuten noch. Walja Borisowna … füll meine Träume wieder auf …
Aber sie blieb nicht. Wie gehetzt lief sie hinaus.
Nach knapp einer halben Stunde tauchte auf der Zufahrtsstraße zum Lager ihr Jeep wieder auf. Jugorow und der Feldwebel waren noch beieinander, und drei Soldaten – der ganze erste Posten – standen um sie herum, und alle hatten rote Augen vom vielen Lachen. Jugorow war in Fahrt mit dem Erzählen von Witzen, und als Walja hielt, brauste wieder eine Lachsalve zu ihr hin. Sie hupte und winkte.
»Noch einen Witz, Walja, zum Abschluß!« rief Jugorow ihr zu. Und laut, damit auch sie es hörte, erzählte er: »Steht Iwan Iwanowitsch auf der Dorfstraße und kaut langsam auf etwas herum. Da kommt Wassja entlang und bleibt stehen. ›Was machst du denn hier, Iwan Iwanowitsch?‹ fragt er. – ›Oh, nichts Besonderes, Wassja!‹ murmelt Iwan; ›steh hier nur so herum, wie du siehst.‹ – ›Und was kaust du da, Iwan Iwanowitsch? Hast irgendwoher einen amerikanischen Kaugummi bekommen?‹ – ›Lieber Himmel, nein!‹ ruft Iwan und kaut. ›Ich wasche meine Socken.‹«
Gebrüll, Tränen in den Augen … wütend drückte Walja noch einmal auf die Hupe.
»Lebt wohl, Genossen!« rief Jugorow und
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