Sibirisches Roulette
Schiebereien gibt's die Todesstrafe. Ich aber möchte noch lange leben, auch wenn's hier in den Sümpfen ist …«
Nachdem Maja Petrowna das Lager verlassen hatte, dachte sie: Wohin fährt man nun? Die Straße hinauf nach Tobolsk oder die Straße hinunter bis Sawodukowsk, zur großen Kreuzung nach Tjumen? Ist überall das gleiche: Einsamkeit, Stille, quälende Schönheit der Natur – quälend, wenn man allein ist. O Himmel, wie wird's im Winter werden?
Sie entschloß sich, nach Süden zu fahren und sich Lebedewka anzusehen. Niktin hätte sich die Haare gerauft, aber weit weg war er, kam erst am späten Abend zurück. Dann würde sich dasselbe abspielen wie immer: Er jubelte bis in die Nacht hinein von seinen Erfolgen. Und kam er schließlich zu ihr, tolpatschig und mit Speichel in den Mundwinkeln vor purer Geilheit, sagte sie mit süßer Stimme etwa: »Eine Bluse von Yves St. Laurent?« Und Niktin antwortete, vor Erwartung zitternd: »Eine Bluse … wird gekauft …« Danach benahm er sich wie ein Affe, und sie ließ es über sich ergehen. So etwas wie eine Bluse von Yves St. Laurent hatte nun eben ihren Preis …
Bis zu den ›Zehn Sängern‹ fuhr Maja Petrowna und hielt dort an. Ein Schicksalsort schien das zu sein, nicht nur für Soja, Masuk, Walja und Jugorow … auch die Niktina geriet hier in einen Lebensstrudel.
Zwischen den Bäumen hatte bereits ein anderer Wagen geparkt, ein MAZ-69. Ein Rotarmist, ein Gefreiter, saß vor den Hinterrädern im Gras, und ein Offizier ging, den Kopf gesenkt, zwischen den ›Zehn Sängern‹ hin und her. Er blieb mit einem Ruck stehen, sah erstaunt auf den ankommenden deutschen Beutewagen und auf die Frau, deren rötliche Haare im Wind wehten.
Er winkte, und sieh einer an: Die Rote winkte zurück. Wo kommt sie her? fragte er sich. Mit einem deutschen Kriegswagen? Wenn das nicht ungewöhnlich ist!
Er winkte nochmals, lief dann den kleinen Hang hinunter, und je näher er kam, um so mehr wuchs sein Staunen. Die schöne Frau musterte ihn mit lustigen Augen, von oben bis unten, ganz ungeniert, und fragte dann, bevor er das erste Wort fand:
»Auch geflüchtet vor der Langeweile? Man fragt sich wirklich: Was soll man tun, Major Nasarow?«
»Sie kennt mich, die schöne Unbekannte?« Nasarow ließ seinen Blick auf Majas Busen verweilen.
»Nur ein Major ist in der Gegend, und der heißt Nasarow«, sagte Maja mit einem kecken Augenaufschlag. »War nicht schwer zu erraten.«
»Leonid Antonowitsch …« Nasarow stockte der Atem. Sein Blick glitt tiefer, über ihre Hüften, die Schenkel, ihre Beine – ein unverschämter Blick, aber Maja hielt ihm mit einem tiefgründigen Lächeln stand.
»Zufrieden?« fragte sie, als Nasarow ihr wieder in die Augen sah. »Einen Blick haben Sie wie ein Roßverkäufer.«
»Oder wie ein Käufer, der die herrlichste Stute endlich gefunden hat.«
»War das ein Kompliment, Major?«
»Das beste, das mir einfiel.«
»Die Übung fehlt, man merkt's. Hart muß man sein, um Ihre Komplimente aufzufangen.«
»Und Sie sind hart?«
»Wie Sie sehen, Major Nasarow. Die Stute habe ich verdaut.«
»Die wichtigste Frage, meine Schöne: Woher kommen Sie?«
»Aus Nowo Gorodjina.«
»Nicht möglich!«
»Aber doch!«
»Ich habe Sie dort nie gesehen.«
»Bin erst vor vier Tagen angekommen. Aus Tobolsk. Mit einem Hubschrauber. War das aufregend! Zum erstenmal mit einem Hubschrauber … ist das ein Gefühl …«
»Wie immer beim erstenmal«, sagte Nasarow mit aller Frechheit, aber Maja Petrowna überhörte es schicklich. Allerdings spürte sie ein Kribbeln in ihren Nerven.
»So niedrig über die Dörfer, Felder, Sümpfe und Wälder hinweg. Man hätte sie greifen können. Sitzt dort in einer gläsernen Kanzel und schwebt über die Welt …« Abrupt brach sie ab und fuhr in einem nüchternen Ton fort: »Ich bin die Frau von Jossif Wladimirowitsch Niktin, dem Leiter …«
»Ich kenne den Genossen Niktin!« Nasarow ließ seinen unverschämten Blick wieder über ihren Körper gleiten. »Ein Glückspilz! Beneidenswert! Eine solche Frau …«
»Maja Petrowna …«
»Um Verzeihung bitte ich, aber ich bin begeistert.«
Er nahm ihre Hand, küßte sie und hielt sie fest. Nasarow, den sie alle haßten. Nasarow, der Selbstherrliche – das sagte Schemjakin. Nasarow, das Ekel – so nannte ihn Walja. Nasarow, das Schwein – dies war die Meinung von Jugorow. Nasarow, das Hindernis – klagte Niktin. Nasarow, der eitle Pfau – bezeichneten ihn die ›Zwillinge‹
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