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Sibirisches Roulette

Sibirisches Roulette

Titel: Sibirisches Roulette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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immer, wenn ich mit meiner Mutter in der Kirche saß. Bei uns in Tallinn saß man, da hatte jeder seinen Platz in den Bänken, vererbt über die Jahrhunderte … Da kann auch Lenin nichts machen!«
    Walja Borisowna sah das ein. Nur eine Frage quälte sie immer, wenn sie Igor den Jeep lieh: »Wirst du Soja sehen?«
    »Bestimmt. Noch immer eifersüchtig, Liebes? Jetzt noch?«
    »Es gibt keinen Masuk mehr … sie ist frei.«
    »Sie war immer frei. Auf Masuk fluchte sie.«
    »Bring sie mit, nach der Kirche«, sagte sie. »Essen kann sie bei uns.«
    »Ihr Vater ist bei ihr, Walja.«
    »Sie soll ihn mitbringen.«
    »Trofimow am Tisch von Schemjakin?! Eher fließen die Wasser des Ob jetzt schon rückwärts. Und ohne Vater kommt Soja nicht. Sie läßt ihn nicht allein. Nicht mehr …«
    Nun wartete der Jeep hinter der Kirche, auf dem Weg zum Friedhof, wo seit zwei Tagen ein mächtiges Birkenkreuz am Grab von Kulinitsch stand. »Welch eine Ironie!« hatte Korolew ausgerufen. »Der Sprengstoff wird transportiert von einem Wagen des Opfers. Das muß in die Chronik hinein.«
    Schagin hatte nun alle Kerzen ausgeblasen, legte sein Meßgewand ab und wusch sich die Hände, mit denen er das Bronzekreuz gehalten hatte. »Jetzt bin ich, bis auf mein Gelübde, wieder der Bürger Kyrill Vadimowitsch Schagin, und kann dir die Stangen Dynamit geben, Jugorow. Ich reiche sie dir raus.«
    »Kann ich nicht helfen?« fragte Jugorow.
    »Helfen? Hinter die Ikonostase willst du? Zum Allerheiligsten? Nur ein Priester darf dahin – und ab und zu der Maler.«
    »Aber Sprengstoffkisten dürfen es.«
    »Sind keine lebenden Wesen, Igor Michailowitsch. Sag nichts weiter! Man muß Prinzipien haben.«
    »Bevor wir die Stangen umladen«, warf Korolew ein, »sollten wir Jugorow erst fragen, wo er sie im Lager verstecken will. Doch nicht unter seinem Bett …«
    »Bei den Hunden«, sagte Jugorow. »Der sicherste Platz ist das. In den Zwinger geht niemand rein, außer mir. In eine der Hundekisten schiebe ich den Karton.«
    »Und wie kommt der Karton in die Hütte?«
    »Ein Karton aus der Küche ist's. ›Nudeln‹ steht darauf.«
    »Nudeln!« Schagin warf begeistert die Arme hoch. »Riesenspaghettis! Krachend frisch. Bist ein Teufelskerl, Jugorow.«
    »Nicht besser als du mit deiner Ikonostase. Unschlagbar ist sie.« Jugorow rieb sich die Hände. »Fangen wir an?«
    »Herbei mit der Nudelkiste!« Schagin tanzte lachend davon. Die schwere, goldverzierte Tür der Ikonostase fiel hinter ihm zu. Wie's dahinter aussah, wußte niemand. Den Schreiner Kabanow und den Maler Stramlitski hatte man verhört. Aber die hatten gezetert und beteuert, sie hätten einen Schwur geleistet, aufs Osterkreuz, vor dem Bild der Mutter Gottes. Der Fluch für alle Ewigkeit würde sie treffen, hatte Schagin außerdem gedroht.
    Korolew und Jugorow verließen die Kirche, gingen um sie herum und warteten dann am Jeep auf den Popen. Hinter ihnen, auf dem Friedhof, begoß die Witwe Rosa Dementinowna das Grab ihres Mannes und sprach halblaut mit dem Toten.
    »Sie stört mich«, sagte Jugorow leise. »Zwei Augen zuviel.«
    »Nicht bei Rosa; halbblind ist sie«, erklärte Korolew. »Wenn sie ein Bild betrachtet, hat man Angst, sie frißt es auf … Auf die Entfernung sieht sie gar nichts. Wo wir stehen, ist Nebel für sie.«
    Schagin erschien am Hinterausgang und wedelte mit den Händen.
    »Die Nudeln!« rief er fröhlich.
    Jugorow gab ihm den Karton. »Zwanzig Stäbe, das ist zu schwer für dich. Laß dir doch helfen.«
    »Zu schwer! Hörst du das, Korolew? Zu schwer! Traut einem Popen wohl nichts zu? Ein inniges Gebet, Igor Michailowitsch, und sie schweben mir in der Hand.«
    Mit dem Nudelkarton verschwand er wieder in der Kirche. Auf dem Friedhof erzählte Rosa ihrem verstorbenen Mann, daß sie heute Kohlrabi gekocht habe, mit einer Kümmelsoße, die er immer so gern gegessen hatte. Inzwischen ging Korolew unruhig hin und her. Ihm dauerte das alles viel zu lang.
    »Muß er erst die ganze Ikonenwand demontieren?« sagte er ungeduldig. »Oder segnet er jede Dynamitstange? Die Zeit rast davon …«
    »Gerade zehn Minuten sind's, Grigori Valentinowitsch. Wer weiß, wo er sein Versteck angelegt hat.«
    Nach fünfzehn Minuten erschien Schagin wieder an der Tür, keuchend, mit glühenden Backen, mit schleifenden Schuhen, und er trug tatsächlich allein den schweren Karton auf der rechten Schulter und rollte mit den Augen.
    »Abnehmen …«, keuchte er. »Nehmt mir's ab, ihr Klötze! Mein Gebet

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