Sibirisches Roulette
davon.« Schemjakin putzte sich den Mund mit einer Serviette. »Überrascht habe ich ihn heute vormittag bei den Hunden.«
»Bei den Hunden?« Jugorow hob den Kopf.
»Nasarow war hier, hier im Lager?« Die Augen der Niktina glänzten. »Da hätte man ihn endlich sehen können.«
»Was wollte er bei den Hunden?« fragte Jugorow und aß weiter, als sei das eine belanglose Frage.
»Nur angesehen hat er sie. Nein, angestarrt. Irgendwie fasziniert. ›Herrliche Tiere, Genosse Major‹, hab ich zu ihm gesagt, ›abgerichtet auf den Mann, kennen kein Pardon, zerreißen jeden.‹ – ›Und wie sollen sie eingesetzt werden?‹ fragte Nasarow. – ›Freilaufend‹, sage ich. ›Jede Nacht ab elf Uhr. Gibt keinen besseren Schutz. Niemand kann dann mehr herumschleichen …‹ – ›Und wer betreut die Hunde?‹ fragt er. Ich sage: ›Jugorow.‹ Ja, und was antwortet er da? – ›Jugorow? Welch eine Entscheidung! Für diese herrlichen Tiere beauftragt man einen Schweinehund?!‹ – Was sagt ihr dazu?«
»Er liebt mich nicht.« Jugorow aß grinsend weiter. »Wie soll man's auch anders erwarten. Beruht auf Gegenseitigkeit.«
Maja Petrowna äußerte sich nicht dazu. Versunken in Gedanken löffelte sie den Nachtisch, entsteinte Kirschen, süß-sauer eingelegt, und nur sie allein wußte, weshalb Nasarow in das Lager gekommen war und sich die Hunde angesehen hatte.
Nicht nur ein großer Esser und Trinker war Niktin, nicht nur ein großer Redner und Patriot – er war auch ein vorzüglicher Schläfer, sofern er sich nicht gerade um Maja bemühte. Acht Jahre Ehe schleifen jede Leidenschaft etwas ab, und so wurde nicht mehr, wie früher, jede Nacht durch Niktins Potenz verkürzt. Vor allem im letzten Jahr hatte er die Nächte vorwiegend für den kräftigenden Schlaf genutzt – und wenn er erst einmal schlief, dann gründlich! Mithin blieb Zeit genug für Maja, sich in der Dunkelheit heimlich aus dem Zimmer zu schleichen und in die Arme des draußen wartenden Nasarow zu fallen.
Wie aber sollte es nun weitergehen, wenn demnächst nachts die Hunde frei herumliefen? Nicht einen einzigen Schritt würde Nasarow mehr ins Lager hereinkommen, ohne von den zehn scharfen Biestern zerfleischt zu werden. Verdammt sei diese Meute!
»War Soja in der Kirche?« fragte Walja nach dem Essen. Schemjakin und Niktin saßen in der Sesselecke und rauchten, Olga hantierte in der Küche, und Maja Petrowna legte Karten, um sie zu befragen, wie's weitergehen könnte mit Nasarow.
»Ja, mit ihrem Vater.«
»Hast du sie gesprochen?«
»Nein. Noch vor Ende der Messe stürzte der alte Trofimow aus der Kirche. Kurz darauf folgte Soja ihm. Als ich herauskam, waren sie fort.«
»Ach ja, da ist noch etwas!« rief Schemjakin aus der Ecke. »Nasarow hat etwas angekündigt.«
»Neue Schweinereien?« fragte Jugorow ahnungsvoll.
»Nein. Nichts, was uns angeht. Am Dienstag kommt aus Tobolsk ein Sondergericht in das Soldatenlager. Anklage und Prozeß gegen Beljakow wegen Mordes. Ist anzunehmen, daß er noch diese Woche erschossen wird. Nasarow spricht von einem Feiertag …«
Jugorow und Walja Borisowna wechselten einen schnellen stummen Blick und verstanden sich sofort: Am Dienstag durfte Beljakow nicht mehr Nasarows Opfer sein!
Etwa zur gleichen Zeit diskutierten die ›Zwillinge‹ die neue Situation. Auch sie hatten von Schemjakin erfahren, daß ein Sondergericht aus Tobolsk kommen würde, um Beljakow zum Tode zu verurteilen – ein anderer Richterspruch war nach der vorausgegangenen willkürlichen Darstellung der Vorgänge gar nicht denkbar.
»Zwei Möglichkeiten gibt es, diesen Wahnsinn zu verhindern«, meinte Krasnikow und trank zur Beruhigung ein Gläschen Wodka. »Entweder erlebt Nasarow diesen Dienstag nicht mehr – oder Beljakow muß bis dahin verschwinden, und mit ihm auch alle anderen Geiseln.«
»Das heißt«, nickte Meteljew, »nur der Montag bleibt uns noch.« Er war gerade dabei, seine Waffen zu putzen, die Verschlüsse zu ölen, die Läufe durchzuziehen, obwohl er bisher noch keinen Gebrauch von ihnen gemacht hatte. Doch das war ihnen anerzogen worden, vor allem in der SPEZNA-Schule:
Die Waffe ist das wichtigste in eurem Leben, denn sie schützt euer Leben. Nur eine Ladehemmung genügt, um euch auszulöschen. Haltet euren Pistolenlauf sauberer als euren Schwanz!
So etwas leuchtet ein, das vergißt man nicht. Erinnert wird man daran bei jedem Pinkeln.
»Nicht zu schaffen, Victor Iwanowitsch.«
»Ich überlege -«, sagte Krasnikow
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