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Sibirisches Roulette

Sibirisches Roulette

Titel: Sibirisches Roulette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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schrecklich. Es war eine Erniedrigung, eine zutiefst kränkende Demütigung.
    »Der Dorfvorsteher von Lebedewka bin ich«, sagte Korolew, die Schmach hinabwürgend. »Wir sollten miteinander sprechen, Genosse Major.«
    »Sprechen? Du mit mir? Dreht sich die Welt verkehrt rum? Nur einer spricht jetzt hier, und das bin ich. Der Dorfvorsteher, sieh an! Was hat er mir zu melden? Wo liegen die verdammten Splitterbomben, wo das Dynamit, wo die Maschinengewehre?! Glotz mich nicht an, Alter … du wolltest mich sprechen, also tu es!«
    »Die Unschuldigen bestrafen Sie, Genosse Major.« Korolew sagte es ohne Scheu. Den Krieg hatte er mit dreimaliger Verwundung überlebt, hatte überall dort den Deutschen gegenübergelegen, wo man sein Leben einsetzen mußte, um die graue Flut aus dem Westen aufzuhalten. Als er vor Moskau im Erdbunker lag, umtost vom Eissturm und vom Hunger gewürgt, weil jeder Transport in dieser Winterhölle zusammenbrach; als er mithalf, die Deutschen aufzuhalten, im Triumph durch Moskaus Straßen zu ziehen – damals vielleicht mußte dieses Majorchen geboren worden sein, der kleine Herr, der jetzt über Lebedewka Gericht halten wollte.
    Nasarow kniff die Augen zusammen, griff nach der halb gerauchten Papirossa und warf den glühenden Rest Korolew ins gemarterte Gesicht. Sie richtete keinen Schaden an, fiel sofort zur Erde, aber die Schande der Wehrlosigkeit war's, die Korolew das Herz verkrampfen ließ.
    »Nur Unschuldige?« fragte Nasarow spöttisch.
    »Brave Bauern, ihre Frauen und Kinder, die Greise … was sollen sie getan haben?«
    »Uns ist bekannt, daß Lebedewka das Nest der Staatsfeinde ist.«
    »Wer sagt das?«
    »Ich! Genügt das nicht?!«
    »Ein Irrtum ist's, Genosse Major. Ein großer Irrtum. Was sucht man eigentlich bei uns?«
    »Allein dieser Frage wegen sollte man dich mit Schlägen rund um den Platz treiben!« Nasarow warf einen Blick auf die Soldaten, die ihn begleitet hatten … sie sahen alle hinüber zur Kirche, als beginne dort eine Prozession. Er drehte sich um und bemerkte Schagin, den Popen. An der Tür seiner Kirche stand er, im festlichen bestickten Ornat, und in den Händen hielt er ein Kreuz aus Silber. Er stand da, als warte er darauf, jemanden segnen zu müssen. »Wirklich, ihr seid gute Schauspieler«, fuhr Nasarow genüßlich fort. »Spielt ein Märchen von dem Blauäugigen, der nur den Himmel sieht und sich wundert, daß Erde um ihn ist!«
    Sein Blick ging jetzt hinüber zur Dorfstraße. Dort führten zwei Rotarmisten einen Mann aus dem Ort in ihrer Mitte. Drei andere Soldaten schleppten einen Kameraden heran, ein junges Bürschlein mit hellen braunen Haaren, im Blick Ratlosigkeit und Angst. Er konnte sich nicht denken, was man von ihm wollte. Geschehen war doch nichts. Ein Mädchen war noch in dem Haus geblieben, das er durchsuchen mußte. In einem dünnen, kurzen Hemdchen war sie gerade aus dem Bett gesprungen und stand ängstlich da. Alles war zu sehen, was ein Weibchen ausmacht, die ganze Pracht von den Brüsten bis zwischen die Schenkelchen … man müßte ein Eisentopf sein, um da vorbeizusehen und schnell hinauszugehen …
    Fünf Schritte vor Nasarow blieben die Soldaten stehen, nahmen eine stramme Haltung an und gaben Kulinitsch einen Stoß in den Rücken. Der junge Soldat begann zu zittern, grüßte und starrte seinen Kommandeur aus flackernden Augen an. Korolew seinerseits warf einen erstaunten Blick auf das zweite herangeschleppte Opfer, den Mann aus seinem Dorf, dem ein dünner Blutfaden aus dem Haar über die linke Wange lief.
    »Was wollen sie denn von dir, Andrej Nikolajewitsch?« fragte er.
    »Weiß ich es? Aus der Reihe haben sie mich herausgeholt.«
    »Du hast dich gewehrt?«
    »Wo werd' ich? Hat's einen Sinn?«
    »Du blutest.«
    »Sie haben mich geschlagen. Ohne ein Wort haben sie mich einfach geschlagen. ›Warum, Brüderchen, schlagt ihr mich?‹ hab' ich sie gefragt. Da haben sie gelacht und mir noch eins versetzt. Dann haben sie mich weggezerrt, und nun bin ich hier.«
    Korolew wandte sich um zu Nasarow. Der Major hatte soeben mit etwas zur Seite geneigtem Kopf den Soldaten Kulinitsch gemustert, etwa wie man einen Gaul betrachtet, den man kaufen will.
    »Was hat Beljakow getan?« fragte Korolew wie anklagend.
    »Nichts.« Nasarow lächelte, aber ein böses Lächeln war's. »Er heißt also auch Nikolajewitsch, genau wie Kulinitsch?« Er zeigte dabei mit dem Lauf seiner Tokarew auf die Brust des jungen Soldaten. »Das trifft sich gut.« Er schwenkte

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