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Sibirisches Roulette

Sibirisches Roulette

Titel: Sibirisches Roulette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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sagte: »Erlöst! Sie sind erlöst, Boris Igorowitsch. Sobald es das Wetter zuläßt, wird das Lager abgebaut. Alle Maschinen kommen nach Tobolsk zurück. Die Brigade wird im Frühjahr eine neue Straße von Tjumen nach Nishnij Tagil bauen; zurückbleiben wird nur Ihre Latrine, haha … ein neuer Sumpf … was dreihundert Kerle so alles zusammenscheißen …«
    In bester Laune war der dicke Koskajew, vielleicht schon ein wenig angetrunken, war es doch bereits drei Uhr nachmittags. Er schloß seine Jubelrede mit dem Satz:
    »Mein lieber Schemjakin, freuen Sie sich! Die Frühlingsblümchen werden Sie in Tobolsk pflücken. Wann spielt für Walja die Orgel im Heiratspalast ›Treulich geführt‹?«
    »Das müssen Sie Walja fragen, Koskajew.«
    »Gefällt Ihnen der Schwiegersohn nicht, Schemjakin?«
    »Ein guter Mensch ist er. Und fleißig. Das ist aber auch alles, was ich von ihm weiß.«
    »Und das genügt nicht?«
    »Ein Vater, der seine Tochter weggibt, hätte gern Klarheit. Nie hat er über sich gesprochen.«
    »Aber Walja Borisowna liebt ihn?«
    »So ist es. Bis zur Selbstaufgabe. Was soll man tun? Alt genug ist sie. Und wenn man sie fragt: ›Wovon wollt ihr leben?‹, dann antwortet sie: ›Wir sind vier Hände, zwei Köpfe und zwei Herzen; was braucht man mehr?‹ – Da ist man einfach entwaffnet, Koskajew.«
    In der Nacht, nachdem über das Radio die Pressekonferenz von Leonid Win in Moskau kommentiert worden war, lag Jugorow wach neben Walja und quälte sich durch einen erdrückenden Schmerz. Seine Aufgabe war abgelaufen, war erfüllt, der ›Spezialist‹ war nicht mehr nötig, wurde nicht mehr gebraucht, trat wieder zurück in das Dunkel, das ihn verschluckte. Nach Hause konnte er gehen, unerkannt, unbekannt, ein einzelner unter Millionen.
    Aber was schlimmer war und ihn fast verzweifeln ließ an sich selbst: Ein Held war er gewesen für alle Wissenden um sich herum – aber Tote hatte es gegeben für das große Ziel. Ein gnadenloser Kampf hatte getobt. Eine Blutbahn war ihm gefolgt vom Süden am Aral-See bis hier nach Tobolsk. Nie hatte er das gewollt, dieses heimliche Morden, das man mit dem Wort ›Widerstand‹ verniedlichte. Gehörte er nicht zu denjenigen, die das Feuer entfacht hatten, die so vieles falsch verstanden und schließlich die Toten nicht mehr zählten? Wie fühlt man sich als Held, der nun sieht, daß alles umsonst gewesen war, jede Sprengung, jede schwerwiegende Tat. Man hätte nur zu warten brauchen, bis die Vernunft sich durchsetzte. Eine Vernunft der realen Überlegungen. Die Erkenntnis, daß man nicht allein ist auf der Welt.
    Ein Held, der Löcher in den Boden geschlagen hatte … weiter nichts. Ein erbärmlicher Held, auch wenn Filaret das anders sah.
    Der ›Spezialist‹, der an der falschen Schraube drehte.
    Am nächsten Morgen küßte Jugorow zum Abschied Walja noch einmal besonders zärtlich, nahm ihre Wärme, ihren Körper, ihre ganze Liebe in sich auf, und dann stand er draußen vor dem Haus. Sah ihr nach, der Frau, die es nur einmal gab in diesem Leben. Sah sie von sich weggehen zum Hospital. Im flimmernden Schnee schien sie sich aufzulösen wie ein schmelzender Kristall …
    Er ging zurück ins Zimmer, hob die Dielen auf, holte seinen Funkapparat hervor und legte ihn auf den Tisch. Sein ›Abschiedsbrief‹ … Worte konnten nicht klarer sein! Noch einmal ging er zu seinen Hunden und spielte mit ihnen und streichelte ihre schönen Köpfe. Sie umringten ihn und leckten ihm die Hand, und Laika und Taiga schmiegten sich an ihn, und Ilja, der Leithund, stützte sich auf Jugorows Knien auf.
    Später fuhr er mit dem deutschen Kübelwagen nach Lebedewka, über die gefrorenen Schlammrillen hüpfend, sprach mit Korolew und Schagin, besuchte Soja und ihr Kind, gab ihr hundert Rubel – welch ein Vermögen! – und umarmte Trofimow, der jetzt Tag um Tag bei seinem Enkel hockte und ihn im Arm wiegte, leise dazu brummend, was er singen nannte. Und Großväterchen Beljakow besuchte er; der Alte saß unbeweglich in einem Sessel, erkannte Jugorow nicht mehr, hielt ihm eine schlaffe Hand hin und sagte: »Hat Andrej heute schon gefischt? Am Rand muß er das Loch schlagen, am Uferrand … da stehen die dicksten Fische … Sag ihm das; Großvater weiß Bescheid …«
    Am Abend war Jugorow nicht wieder zurück.
    Die Schemjakins warteten mit dem Essen auf ihn, aber als er um zehn Uhr noch nicht gekommen war, trug Olga Walerinowna die Schüsseln auf. Walja kam zurück, sie hatte Jugorow zu Hause

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