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Sibirisches Roulette

Sibirisches Roulette

Titel: Sibirisches Roulette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Trofimows Hand; eine lange, beidseitig scharfe Klinge mit einem fast kugeligen Knauf; eine selbst konstruierte, tödliche Waffe, genau ausgewogen in der Verteilung der Gewichte, so daß die Klinge tatsächlich immer ins Ziel traf, wenn das Messer geworfen wurde.
    »Sie sind jetzt in meinem Haus, Jugorow«, sagte Gamsat hart. »Und was Sie auch denken mögen: An mir kommen Sie nicht mehr vorbei. Falls es Ihnen doch gelingt – wo wollen Sie hin? Sie kennen die Pfade im Sumpf nicht. Im Moor ersticken werden Sie.«
    »Ich habe nicht vor, zu flüchten.« Jugorow hatte sich von der Eckbank erhoben, stand hinter der ihn schützenden Soja und legte seine Hände um ihre Hüften. Seine Berührung durchfuhr sie wie ein Blitzschlag, die Schultern zog sie hoch, wie gelähmt stand sie da, nur ihre Mundwinkel zuckten plötzlich; ein inneres Vibrieren spürte sie, das keiner der Männer bemerkte. »Ich möchte das Gegenteil behaupten: Ich bin froh, in Ihrem Haus zu sein, Gamsat Wladimowitsch. Wer kann nicht verstehen, daß Sie den Kanalbau hassen? Ich nehme an, die Trasse wird durch Ihr Gebiet laufen.«
    »Mein Haus wird im Kanal stehen! Genau hier durch soll er gebaut werden. Und Sie werden dabeisein, wenn man Soja und mich umbringt, das Haus abreißt und alles vernichtet. Einen Bagger werden Sie vielleicht fahren oder eine Planierraupe oder einen Lastwagen, der die Trümmer meines Hauses abfährt … Sie werden unter unseren Mördern sein! Essen und trinken Sie heute noch bei uns, Jugorow … morgen, da haben Sie recht, sieht es anders aus … auch zwischen uns …«
    Was soll man noch sagen? Nach zwei Stunden, in denen der Teig dreimal, wie sich's gehörte, aufging, die geformten Piroggen mit dem gewürzten Fisch gefüllt und dann im Ofen gebacken wurden und heiß und köstlich duftend auf den Tisch kamen, dazu der Beerenwein mit seinem herben Geschmack – ein Essen wie zu einem Feiertag war's –, saß Trofimow noch immer sprungbereit am Tisch, das Wurfmesser neben sich, mit der Klinge auf Jugorow zeigend.
    Draußen lag nun eine warme, vom Mondschein erhellte Nacht über Sumpf und Wald, die Erde atmete die Sonnenwärme aus, es roch im Moor faulig und nach Verwesung, und die Waldränder erhoben sich gegen den Himmel wie hohe, schwarze Mauern.
    Nach dem Essen waren sie aus dem Haus getreten und blickten in diese lautlose Nacht. Von nirgendwoher kam ein Ton, die Stille war vollkommen.
    »Hier kommen Sie nicht weg, Igor Michailowitsch«, sagte Trofimow zufrieden. »Nicht in der Nacht. Sehen Sie das ein? Ich werde ruhig schlafen können. Sollten Sie morgen früh nicht mehr im Haus sein, weiß ich, daß sie irgendwo«, er machte eine weite Handbewegung, »im Sumpf ersoffen sind. Schlafen Sie gut …«
    Er ging zurück ins Haus und ließ Soja und Jugorow allein vor der Tür. Eine ganze Weile schwiegen die beiden und lehnten an der Hauswand. Plötzlich sagte Jugorow, so unvermittelt, daß Soja zusammenzuckte:
    »Sie haben sich schützend vor mich gestellt, als Ihr Vater sein Messer zog. Hatten Sie Angst um mich?«
    »Nein!« Ihr Kopf flog trotz der Finsternis zu ihm herum. Wieder war, davon war er überzeugt, dieser Blick in den Augen so vieldeutig wie das ganze menschliche Wesen. »Ich wollte nur nicht das Blut von den Dielen scheuern; eine harte Arbeit ist das!«
    Sie riß die Tür auf, rannte ins Haus und ließ ihn allein draußen stehen. Jugorow war zufrieden mit dem vergangenen Tag. Hier kann wirklich niemand flüchten, der nicht die schmalen Sumpfpfade kennt, dachte er. Umgekehrt aber kann auch niemand zum Haus … ein sicherer Ort ist das, ein wahres Geschenk für dich, Igor Michailowitsch. Besser konntest du es nicht treffen, das Glück ist mit dir mitgewandert. Dort hinten, jenseits des Waldes, liegt Nowo Gorodjina, nur ein paar Werst entfernt, das bis jetzt letzte Ziel einer großen Reise.
    Soldaten hat man also hingebracht. Zehn Geiseln hat man aus Lebedewka mitgenommen. Verhören wird man sie mit Methoden, die jeden Widerstand brechen. Verhören, bis sie alles gestehen, was man von ihnen will – nur um den Qualen zu entgehen.
    Du bist zur richtigen Zeit an den richtigen Ort gekommen, Igor Michailowitsch. Glückwunsch, mein Lieber. Der Damm wurde schon gesprengt, das ist ein guter Anfang. Nichts schmerzt stärker, als wenn man in einer frischen Wunde bohrt.
    Er stieß sich von der Hauswand ab, ging ins Haus zurück und verschloß hinter sich die Tür. Im großen Wohnraum wartete Soja auf ihn. Das Licht der einzigen Lampe

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