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Sibirisches Roulette

Sibirisches Roulette

Titel: Sibirisches Roulette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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gerade erst aus ihm herausgekrochen. Eigentlich tat er nur am Sonntag etwas für sich; dann zog er seinen besten Anzug an, badete vorher heiß – auch im glühendsten Sommer –, schabte den Bart aus seinem Gesicht, kämmte und bürstete sein Haar und erschien so mit Soja in der Kirche. Dann war er ein geradezu schöner, ja stattlicher Mann, und man begann ihn zu verstehen, warum er eine so auffallende Tochter hatte. Die Mutter, so erzählte man sich, war ebenfalls eine sehr schöne Frau gewesen. – »Setzen Sie sich hin, Igor Michailowitsch, zum Sitzen ist Platz genug. Nur wo Sie schlafen sollen, das weiß ich nicht.«
    »In meinem Bett!« rief Soja vom Herd her. Sie hatte den Backofen angeheizt, rührte unter den Teig die Hefe und stellte ihn zur Seite, damit er aufgehe. Ein guter Piroggenteig muß dreimal aufgehen, so ist es in Sibirien üblich: Beim erstenmal ist's der ›Sauerteig‹, der aufgeht, das Gemisch aus einem Teil Wasser, einem Teil Mehl und der Hefe. Beim zweitenmal wölbt sich die ganze Masse des verrührten Teiges, dann beginnt das sorgfältige Durchkneten; keine Zugluft darf heran, alles muß von Wärme umgeben sein. Und dann hebt sich der Teig noch einmal und kann erst jetzt zu den Piroggen geformt werden.
    Eine gute Pirogge ist ein Meisterwerk. Wie sagt man doch in Sibirien seit Jahrhunderten? »Nicht durch ihre Ecken, sondern durch Piroggen wird eine Hütte schön.«
    »In ihrem Bett soll er schlafen, hält man's für möglich?« sagte Trofimow voll Staunen. »Kommt daher, keiner kennt ihn, und schläft bei meiner Tochter.«
    »Sie verstehen das, glaube ich, falsch, Gamsat Wladimowitsch. Ich bin bereit, im Stall, im Stroh zu schlafen.«
    »Dort mache ich mir ein Lager. So war's gemeint, Väterchen!« rief Soja aus der Küchenecke und stellte den Teig etwas weiter vom Herd weg. Aus einem Eimer nahm sie dann einen großen, silbern glänzenden Fisch und klatschte ihn auf ein großes Brett. »Mögen Sie etwas trinken, Igor?«
    »Wenn man mir etwas bringt … gern.«
    »Väterchen hat einen guten Beerenwein. Er macht ihn selbst. Holst du ihm eine Kanne, Papuschka?«
    Trofimow rührte sich nicht. Sein Wein und sein Wodka waren sein halbes Leben. Die andere Hälfte hieß Soja. Wenn eine der beiden Hälften nicht mehr um ihn war, lohnte das Leben nicht mehr. Seit dem Tode von Sojas Mutter war sein Dasein auf diese beiden Dinge zusammengeschrumpft. Alles, was er tat, tat er für sie, und wenn er abends auf seinem Lieblingsplatz saß – eben auf der Bank am Kamin –, seinem Töchterchen bei der Arbeit zusehen konnte und den Duft des Wodkas aus dem Glas schnüffelte, das vor ihm stand, dann war seine Welt vollkommen, schön, friedlich und einen Dank an Gott wert.
    »Sie haben also Geiseln genommen?« sagte Jugorow unvermittelt. Die innere Abwehr des Alten gegenüber dem Fremden war ihm verständlich.
    »Das hat sie Ihnen auch schon erzählt?« fragte Gamsat und warf einen strafenden Blick zu Soja. Sie hatte den Fisch aufgeschlitzt und nahm ihn aus.
    Jugorow zog seine derben, staubigen Stiefel aus und stellte sie neben die Eckbank. »Wie kommt's, daß man Ihnen nichts getan hat?« fragte er.
    »Wir sind weggelaufen und haben uns verkrochen, sie haben uns nicht gefunden. Unser Haus liegt sehr versteckt im Sumpf. Doch im Dorf haben sie gewütet wie früher die Tataren.« Gamsat Wladimowitsch zog das stoppelige Kinn an und betrachtete Jugorow wieder mit feindlichen Blicken. »Eigentlich müßte ich Sie umbringen …«, sagte er nachdenklich.
    »Väterchen, was redest du da?« rief Soja, kam vom Herd herüber und stellte sich vor Jugorow. Wirklich, sie schützte ihn mit ihrem Körper, als würde Trofimow gleich auf ihn schießen oder ein Messer werfen. Darin war Gamsat ein großer Könner: Er konnte ein Messer aus zehn Meter Entfernung genau ins Ziel schleudern. Keiner machte ihm das nach, es war ein lautloses Töten.
    »Er kennt jetzt unser Haus. Er weiß, wo es liegt. Die Einsamkeit im Sumpf ist kein Schutz mehr, Töchterchen, er kann uns verraten. Zum Teufel, er gehört doch zu den anderen. Will am Kanal arbeiten. Hast du das überlegt? Er darf das Haus nicht mehr verlassen … nur noch mit den Füßen voran.« Er beugte sich zu Jugorow hinüber und sah ihn starr an. »Essen Sie Sojas herrliche Piroggen, auch meinen Wein hole ich … saufen Sie ihn aus … es soll Ihnen gutgehen in der kleinen Zeit, die Sie noch leben.«
    Mit einer blitzschnellen, kaum wahrnehmbaren Bewegung lag plötzlich ein Messer in

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