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Sibirisches Roulette

Sibirisches Roulette

Titel: Sibirisches Roulette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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danach, jeder kennt sie.«
    Walja blickte Svetlana tief in die Augen, blinzelte ihr zu und sagte bewußt streng:
    »Gesund! Die Striemen heilen von allein.«
    »Wird etwas zurückbleiben? Narben?«
    »Kann sein. Tragen Sie die als Andenken …« Walja winkte zu den anderen. »Die nächste. Schnell jetzt. Die Männer können ihre Hemden schon ausziehen.«
    Auch mit Marfa Jakowna flüsterte sie, versprach, dem Schreiner Kabanow und den Kinderchen Grüße zu überbringen … und so war es bei jeder der Geiseln: Sie horchte sie ab und sammelte Botschaften für die Verwandten und machte sie für einen Augenblick glücklich durch ein Lächeln, ein Kopfnicken und die zwei Worte: »In Ordnung.«
    »Fertig!« sagte sie, nachdem alle zehn Geiseln untersucht worden waren und wieder an der Zeltwand standen. Sie packte alle Instrumente, Dosen und Flaschen ein und ließ den Sanitätskoffer zuschnappen. »Alle sind gesund. Kein Hindernis, sie zu verhören.«
    »Major Nasarow wird Ihnen die Hände küssen, Genossin Ärztin«, spottete Mamjelew, führte sie aus dem Zelt und atmete tief die frische abendliche Waldluft ein. Die Erde duftete nach Thymian, ein merkwürdiger Geruch im Zusammenklang von Sumpf, Wald und sonnenreifen Gräsern. In den Zelten flackerten die Lichter, vor der Küche standen in langer Schlange die Soldaten und holten ihr Essen ab, Blechgeschirr klapperte. Zurufe flogen hin und her: »He, Aljoscha, nimm eine halbe Portion! Dick ist die Suppe von Kartoffeln … wir wollen nicht ersticken, wenn du furzt! Bei Kartoffeln furzt er immer, müßt ihr wissen!«, und Aljoscha, irgendwo in der Reihe, schrie zurück: »Ha. Dieses Großmaul. Er hat's nötig! Wer kennt Bairam nicht? Zieht sich die dampfenden Strümpfe aus, und wir alle sinken in Ohnmacht. Vergiftet, Brüderchen, vergiftet sind wir jedesmal …«
    Leutnant Mamjelew begleitete Walja wieder bis zu dem wartenden Lastwagen der Baubrigade. Der Fahrer, der bis jetzt in seinem Fahrerhaus sitzen geblieben war, als sei es ein schützender Bunker, riß die Tür auf, lief Walja entgegen, nahm ihr die Sanitätstasche ab und hätte vor Freude hüpfen können. Vorbei … nur schnell weg aus diesem Lager. Soldaten sind notwendig, das muß man einsehen, aber nicht notwendig ist es, sich gerade im Lager einer Strafexpedition aufzuhalten.
    »Eine große Hilfe waren Sie, Genosse Leutnant«, sagte Walja und gab ihm mit sichtlichem Widerwillen die Hand.
    »Wie habe ich Ihnen helfen können, Genossin? Ich stand doch nur dabei.«
    »Trotzdem … ich danke Ihnen, Mamjelew. Unsichtbare Taten sind oft die besten.«
    Sie stieg in den Lastwagen, zog die Tür zu und lehnte sich zurück. Mit einem heulenden Start machte der Fahrer, daß er schnell zum Ausgang kam. Mamjelew starrte dem Wagen nach, überlegte Waljas letzte Worte und schüttelte den Kopf.
    Dann ging er in das Offizierszelt, wo schon serviert worden war. Eine Ordonnanz stand bereit, ihm aus einem Thermokessel die dicke fertige Kartoffelsuppe auf einen Teller zu löffeln. In einem anderen Warmhaltegefäß schwammen fette, gekochte Mettwürste.
    Ein Offizier ist eben doch nicht bloß ein Soldat.
    Im Wohnraum von Ingenieur Schemjakins Haus saßen noch immer Schemjakin, seine Frau Olga Walerinowna und Jossif Niktin zusammen, knabberten süßes Gebäck und tranken dazu einen herben Wein aus dem Moldawinischen Gebiet.
    In langen Gesprächen war man sich einig geworden, daß der Einsatz von Nasarows Truppen das Falscheste war, was man sich in Tobolsk oder Moskau ausdenken konnte. Mit drakonischen Strafen, mit Geiseln und Verhören, Erpressungen oder gar Deportierungen kam man nicht weiter. Im Gegenteil! Man verstärkte dadurch erst recht den Widerstand der Bevölkerung. Auch der Gedanke, Lebedewka einfach zu evakuieren und umzusiedeln, erwies sich als nutzlos. Außerdem war das ein Verfahren, mit dem eine Vielzahl von Behörden beschäftigt werden mußte, und wer eine sowjetische Behörde kennt, der schiebt diesen Gedanken sofort in eine Lade. Vor allem aber würde man überall sagen: Sieh an, sieh an … was sind das bloß für Funktionäre. Werden nicht fertig mit ein paar aufsässigen Fischern und Bauern. Lassen sich die Hosen runterziehen, na na. Sind sie denn alle unfähig da unten am Tobol? Wollen ein Jahrhundertwerk bauen, wollen die Schöpfung korrigieren und Sibiriens Flüsse rückwärts laufen lassen und fangen an wie alte Weiber zu flennen, weil ein paar Wirrköpfe sich dagegen auflehnen – wie kann man das verstehen?

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