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Sibirisches Roulette

Sibirisches Roulette

Titel: Sibirisches Roulette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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O nein. Das verhüte der Himmel!« Niktin hob abwehrend beide Hände. »Pychtin gehört zur gleichen Kategorie wie Nasarow. Nur ist er, weil er goldene Litzen und Sterne trägt, um das Dreifache schlimmer. Sprechen Sie mit dem Genossen General, Boris Igorowitsch.«
    »Das will ich wohl tun.«
    »Wenn er Sie überhaupt empfängt! Wir erzählen jedesmal den Leuten, die verantwortlichen Genossen seien für alle da und immer zu sprechen – aber wenn man sie braucht, ist's leichter, eine Wanze unter der Tapete zu suchen.« Niktin zog ein verzweifeltes Gesicht; es wirkte so erheiternd, daß Schemjakin in Lachen ausbrach. »Sie lachen, mein Lieber, aber mir drückt es das Herz ab. Beneiden könnte man Sie um Ihren Posten, weit weg von Moskau. Keiner redet Ihnen drein, friedlich wohnen Sie in der Einsamkeit. Na ja, mal fliegt ein Magazin in die Luft oder der Damm bekommt ein Loch … aber sonst müssen Sie ein glücklicher Mensch sein.«
    »Ihr Begriff von Glück hat viele Löcher, Jossif Wladimirowitsch«, sagte Schemjakin und lächelte etwas bitter. »Kann mir Schöneres denken, als hier wie eine Schießscheibe herumzusitzen.«
    Die Haustür klappte, Walja kam herein und stellte die Arzttasche in die Zimmerecke. Ihre Schuhe waren staubig. Ein Fleck an ihrem Rock sah aus, als sei es Blut.
    »Wo warst du, Walja? Wo kommst du her?« fragte Olga Walerinowna sofort. »Hat es einen Unfall gegeben?«
    »Im Lager war ich.« Walja kam an den Tisch, setzte sich neben Niktin und trank einen Schluck Wein aus dem Glas ihres Vaters. So hastig trank sie, als sei sie soeben aus der Wüste zurückgekommen.
    »In welchem Lager?« fragte Schemjakin.
    »Im militärischen.«
    »Sie waren bei Nasarow?« Niktin sah sie ungläubig an.
    »Er war nicht da, er war ja hier. Auf dem Rückweg bin ich ihm begegnet.«
    »Im Militärlager? Mit der Arzttasche?« Schemjakin war ebenso verblüfft. »Hat man dich gerufen?«
    »Nein. Ich habe die zehn Geiseln untersucht.«
    »Was haben Sie?« rief Niktin erregt. »Die Geiseln?! Weiß Nasarow das?«
    »Nein. Einer, ein junger Mann, war sehr verletzt. Ich habe ihn genäht und verbunden. Auch zwei Frauen sind dabei. Mit Erschießen droht man ihnen, wenn sie nicht aussagen. Aber was sollen sie aussagen? Sie wissen doch nichts.«
    »Kaputt macht er alles, kaputt«, klagte Niktin und rang die Hände. »Erschießt er die Geiseln, haben wir hier die Hölle – auch wenn ein ganzes Armeekorps hier liegt. Auf jedem Baum, hinter jedem Strauch sitzt dann der Tod. Wir müssen nach Moskau schreiben, Boris Igorowitsch, unter Umgehung von General Pychtin. Jetzt sofort, ehe man's uns anlastet. So wird's nämlich laufen: Nasarow erschießt, und wenn der Kleinkrieg entbrennt, zeigt man auf unsere Köpfe. Das Militär ist selbstverständlich nie schuld, nie! Nur immer die anderen …«
    Es zeigte sich sehr bald, daß Niktins Befürchtungen richtig waren: Fäuste hämmerten an die Haustür. Die Schemjakina preßte angstvoll die Fäuste gegen den Mund, und Niktin verfärbte sich. Boris Igorowitsch entriegelte die Tür, und ehe er fragen konnte, stieß Nasarow ihn zur Seite und stürmte ins Haus. Wutverzerrt war sein Gesicht, in allen Muskeln zuckte es, man starrte ihn an. Einen derart vor Wut kochenden Mann hatte bisher noch niemand gesehen.
    »Wo ist sie?!« brüllte Nasarow. »Wo ist das verdammte Weib?! Ha, da sitzt sie; sitzt da und säuft Wein.« Sein Arm stieß vor wie ein Degen, sein Zeigefinger war die Spitze. »Glotzen Sie mich nicht an, Sie rehäugiges Luder! Wissen Sie, was ich mit Ihnen machen werde?«
    »Nichts!« sagte hinter ihm Schemjakin. »Gar nichts …«
    Nasarow fuhr herum wie von der Tarantel gebissen und sah Schemjakin dicht hinter sich stehen. »Sie wissen nicht, was sie getan hat! Einen Mörder hat sie gewaschen, genäht und verbunden. Hat meine Leute herumgejagt wie Lakaien, wie eine Bojarin ihre Muschiks. Meinen besten Offizier hat sie zum Helfershelfer degradiert. Mit Lügen ist sie in das Sperrgebiet gekommen; hat gesagt, sie käme von mir …« Nasarow fuhr wieder herum und brüllte Walja an: »Stehen Sie auf! Das ist ein Befehl. Dienstlich spreche ich mit Ihnen.«
    »Wen meint er, Väterchen?« fragte Walja ruhig. »Sind hier Soldaten im Zimmer? Ich sehe keinen.«
    »Da soll man doch …« Nasarow hob den rechten Arm, aber weiter kam er nicht. Schemjakin legte ihm schwer die Hand auf die Schulter und sagte mit einem drohenden Ton in der Stimme: »Genosse Major, gehen Sie hinaus!«
    »Die Hand weg!«

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