Sibirisches Roulette
Stimme klang so fest, daß Schemjakin unwillkürlich den Kopf einzog. Niktin starrte sie verwirrt an. »Nein … ich bleibe! Genug ist jetzt hier zu tun. Eine Ärztin flüchtet doch nicht vor einem Nasarow! Wie könnt ihr so etwas denken?«
Schemjakin antwortete darauf nicht, aber in seinen Augen konnte man es lesen: stolz war er auf sein Töchterchen.
Eine Sensation war es, das muß man sagen, als Jugorow am Morgen auf Sojas Motorrad durch Lebedewka fuhr.
Nach dem Frühstück mit Räucherfisch, kaltem Braten, Eiern, Zwiebeln, Marmelade und würzigem, selbstgebackenem Brot hatte er sich bei dem alten Trofimow bedankt und erklärt, das sei das bisher üppigste Frühstück seines Lebens gewesen. Der Alte quittierte es mit einem wortlosen Brummen. Dann war Jugorow von Soja zum Stall der drei Ziegen geführt worden, und sie zeigte auf das an die Wand gelehnte Motorrad:
»Nimm es dir. Fahr aber erst vor dem Haus ein paarmal hin und her, damit man sieht, ob du's auch kannst.«
Jugorow lachte, stieg auf den Sattel, ließ den Motor an, gab Gas und flitzte von dem Stall weg auf den Vorplatz des Schwarzen Hauses. Hin und her fuhr er, nahm geradezu artistisch die Kurven, fuhr freihändig, lehnte sich weit zurück, hob das Vorderrad vom Boden und raste nur auf dem Hinterrad an Soja vorbei, und als sie aufschrie und die Hände zusammenschlug, winkte er ihr zu und lachte wie ein übermütiger Junge. Aus voller Fahrt bremste er dann vor ihr, ließ sich nach vorn schleudern, drehte einen Salto in der Luft und kam unversehrt auf den Beinen zu stehen, während sie das Motorrad festhielt.
»So ist's bei mir immer, wenn ich morgens schon gut esse!« rief Jugorow und bemerkte, daß der alte Trofimow am Fenster stand und alles gesehen hatte. Soja dagegen zitterte und hielt sich am Motorrad fest. »Ein gutes Rad ist es.«
»Du bekommst es nicht«, sagte sie mit einem wie zugeschnürten Hals. »Nein! Nie!«
»Aber warum nicht? Versprochen hast du's!«
»Sollst du dich totfahren? Nein! Ich will daran nicht schuld sein.«
Es dauerte lange Minuten, bis Jugorow glaubhaft gemacht hatte, daß er auch vernünftig fahren könne. Er versprach Soja, auf sich aufzupassen. Den Ausschlag hatte Gamsat Wladimowitsch gegeben; er war aus dem Haus gekommen, hatte Soja das Motorrad entrissen und es Jugorow gegeben: »Fahr los, Kerlchen! Brich dir nur schön und schnell den Hals. Ich mag keine Unruhe in meinem Haus …«
Nun also fuhr Jugorow durch Lebedewka. Die Weiber standen hinter den Zäunen oder am Straßenrand und gafften ihm nach. Ein Großmütterchen, das schlecht sehen, aber gut hören konnte, rief empört: »Was ist denn das?! He, soll man's für möglich halten? Jetzt hat sie Männerkleider an! Nein, welch ein Hürchen!« Der Krämer Bolotajew hingegen glaubte sofort die Situation zu durchschauen, warf die Arme hoch in die Luft und kreischte los: »Aufhalten! Freunde, aufhalten! Er hat Sojas Motorrad gestohlen! Haltet ihn fest … Ein Dieb … ein Dieb!«
Völlig ratlos war Masuk, der mit Rudenko und Goldanski vor seiner Schmiede stand und bis jetzt noch zu keinem Ergebnis gekommen war, bei der Überlegung, wie man die zehn Geiseln aus dem Militärlager herausholen könnte. Rudenkos Vorschlag, mit selbstgebastelten Spezialbomben und Werfergranaten gegen die Soldaten vorzugehen, war zu risikoreich; man konnte damit auch die treffen, die man befreien wollte. Lautlos mußte alles sein, doch wie sollte man dies realisieren?
»Was bedeutet denn das?!« meinte Rudenko, als Jugorow an ihnen vorbeiratterte. »Ist das nicht Sojas Motorrad?«
»Unmöglich!« Masuk reckte den Kopf vor. »Wieso denn? Ein Mann sitzt drauf, also ist's nicht Sojas Rad.«
»Nur weil ein unbekannter Mann draufsitzt?« fragte Goldanski spöttisch. »So sicher wäre ich da nicht, Lew Andrejewitsch.«
»Ich kenne das Rad. Sojas ist es nicht!« schrie Masuk.
Er stieß Rudenko und Goldanski zur Seite, blickte Jugorow nach und stampfte dann die Straße hinunter, dem Motorrad nach. Er sah es vor Korolews Haus an der Wand stehen, ging nahe heran, musterte es mit zusammengekniffenen Augen, bückte sich, betrachtete am Tank eine Beule und wußte nun genau, daß es doch Sojas Gefährt war. Etwas Schweres legte sich auf sein Herz, denn wer logisch dachte, mußte zu dem Ergebnis kommen, daß Soja ihr geliebtes Rad nur jemandem anvertraute, den sie genau kannte. Der Kerl aber, der im Sattel gesessen hatte, war ein Unbekannter … und wenn man weiter dachte: Er mußte im
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