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Sich lieben

Sich lieben

Titel: Sich lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Philippe Toussaint
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frühen Morgen auf dem Weg zum Aufzug geschwind die von Geschäftsleuten bereits leise rauschende Hotelhalle durchqueren, die Haut gerötet von der Kälte, Maries Kleid zerknittert und am Oberschenkel halb durchgescheuert, an den Knöcheln die zueinanderpassenden weißen Tennissocken –, ließen wir uns, in dem Zustand von Müdigkeit und physischer Zerrüttung, den wir erreicht hatten, sofort voll bekleidet aufs Bett fallen. Es war Tag, und im Zimmer herrschte die fürchterliche Ödnis des Morgens nach einer durchwachten Nacht. Marie ließ ein warmes Bad einlaufen und wartete, auf dem Bett ausgestreckt, mit offenen Augen, erschöpft, regungslos, wortlos, daß die Wanne sich füllte. Fast wären wir beide gleichzeitig in die volle Wanne gestiegen, doch nach einer kurzen Auseinandersetzung, eher spaßhaft und komisch, ein Ballett von zärtlichen und nachtwandlerischen Gesten auf dem Fliesenbelag, teilten wir uns die Örtlichkeiten, Marie nahm die Badewanne, und ich wählte die Dusche. Den Kopf nach oben und die Augen geschlossen, ließ ich lauwarmes Wasser über meinen gemarterten, vor Kälte schmerzenden Körper fließen, meinen Körper eines Schiffbrüchigen, der nach und nach zu normaler Temperatur zurückfand. Ich stand nackt, den Kopf dem Wasserstrahl entgegenreckend, in der Duschkabine mit den beschlagenen Seitenwänden, und in der Badewanne sah ich Marie ausgestreckt liegen, nackt und bewegungslos, auf dem Gesicht einen Waschlappen, weiß und erschlafft, von dem verschwimmende Dampfschwaden aufstiegen. Auf dem Kopf trug sie eine durchsichtige Badehaube, wie ein aufgeweichter Blumenkohl, und ihre Hände schlugen, wie in Zeitlupe, fast unbewußt, sanft auf die Wasseroberfläche.
    Um neun Uhr – exakt um 8.57, wie der Radiowecker des Zimmers mit den fein gepunkteten flüssigen roten Kristallziffern anzeigte – läutete das Telefon in der Dunkelheit.
    Die schweren Vorhänge im Zimmer waren zugezogen, und beide schliefen wir je auf einer Seite des Betts tief und fest. Die seidene Schlafbrille der Japan Airlines über den Augen, drehte sich Marie nur unter der Decke um, die Stirn in Schweiß, warm eingemummt in einem dikken Marinepullover, den sie über ihr Nachthemd gezogen hatte, um soviel Wärme wie möglich zu speichern. Es läutete wiederholt und aggressiv. Ich nahm schließlich den Hörer ab, und nach einer längeren Weile, während der ich zu verstehen versuchte, wo ich war, sagte ich mit leiser Stimme »Ja«. Eine japanische Stimme, durch die Erregung etwas destabilisiert und entstellt, stürzte sich in einen mit Höflichkeitsbezeigungen verbrämten längeren Satz, aus dem hervorging, daß dies Yamada Kenji sei und daß er uns, wie abgemacht, um neun Uhr an der Rezeption in Begleitung der Herren Maruyama, Tanaka, Kawabata und Morita erwarte. Was war darauf zu antworten? Ich sagte nichts, ich warf einen Blick auf Maries Kleider um uns herum, die im Schatten der Ständer in der tiefen Finsternis des Zimmers hingen, in dem die Vorhänge zugezogen waren. Ich spürte am anderen Ende der Leitung einen Moment des Zögerns, den Ansatz eines Getuschels, Räuspern. Einen Augenblick bitte, sagte mein Gesprächspartner. Ich sagte noch immer nichts. Ich hatte noch nichts gesagt (außer dem »Ja«), und übrigens auch mehr nicht sagend, hängte ich mit erschöpfter Hand wieder ein.
    Ich hatte kaum Zeit, wieder einzuschlafen, und ich hatte auch nicht den kleinsten Versuch gemacht, Marie zu wecken und sie vom Telefonanruf in Kenntnis zu setzen, als das Telefon – 9.04 a.m. – erneut läutete. Der Apparat, der abgehackt in der Dunkelheit des Zimmers ertönte, befand sich auf meiner Seite des Betts, und nach einer Weile, mit einem Stöhnen, das um Gnade zu winseln schien, näherte sich Marie mir unter der Decke, preßte sich gegen meinen Körper und streckte einen Arm ins Leere zum Nachttisch hin. Ich vollendete ihre Bewegung, nahm für sie den Hörer ab und reichte ihn ihr. Sie war noch minimalistischer als ich, denn mit dem Hörer in der Hand sagte sie weder »Hallo« noch »Ja«, sie sagte nichts, verriet ihre Anwesenheit lediglich durch ein leicht verändertes Atmen. Dann, noch immer ohne etwas zu sagen – sie klappte träge ihre Seidenbrille der Japan Airlines auf die Stirn, und ich sah im Halbdunkel ihr verschlafenes Gesicht zuhören, ich betrachtete ihre Augen, die sich in dem Maße zu beleben schienen, wie ihr klar wurde, was man ihr sagte, wir tauschten sogar einen raschen Blick des Einverständnisses aus –,

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