Sich lieben
mehrere große goldglänzende Karren damit beluden. Ich stand schließlich auf, kreuzte sie bei meinem etwas unsicheren Gang durchs Zimmer und begab mich ins Bad. Mein Gesicht im Spiegel war nicht wiederzuerkennen, Lider und Bakken aufgedunsen, blaurot, die Augen winzig, Schlitze förmlich, die einen erstaunten und abwesenden, nicht sehr sympathischen, nicht einmal rührenden, fast bösen Blick warfen, die Lippen waren trocken und aufgerauht, rissig, meine Zunge weiß und trocken, die Wangen unrasiert, der Hals mit wirren dichten grauen und schwarzen Haaren gespickt. Ich betrachtete dieses Gesicht im Spiegel, betrachtete dieses bereits alte und doch mein Gesicht, und das gehört zum Sonderbarsten, es mit sich selbst zu verbinden, das Alter oder – denn ich war noch nicht wirklich alt, in einigen Monaten wäre ich vierzig – jedenfalls doch das unbestreitbare Verschwinden der Merkmale der Jugend, ablesbar an den eigenen Gesichtszügen.
Nachdem die letzten Koffer nach draußen gebracht worden waren, schloß Marie die Tür hinter den Gepäckträgern und zog ihren Marinepullover und ihr Nachthemd aus, das sie beim Vorübergehen aufs Bett legte, und ging nackt weiter zum Fenster, wo sie eine Weile durch die Glasscheibe die graue dunstverhangene Stadt betrachtete. Über Tokio regnete es, soweit man sehen konnte, war der Himmel von dichtem Nebel bedeckt, in der Ferne waren einige Flachdächer und Antennen zu erkennen, einsam glitten ein paar Regentropfen die Fensterscheibe hinunter. In Unterhose bereitete ich Tee im Zimmer zu, während Marie sich im Bad herrichtete. Mit nackten Füßen und versonnen goß ich behutsam kochendes Wasser auf einen bleichen Teebeutel in eine der Tassen von dem Tablett auf der Minibar. Mit leicht zitternden Fingern trank ich einen kleinen Schluck kochendheißen Tee, sicherlich das einzige, was ich um diese Zeit hinunterbrachte. Zehn Minuten später – das Telefon hatte inzwischen nur ein einziges Mal geläutet, und ich selbst hatte geantwortet, daß wir kommen würden – tauchte Marie wieder im Zimmer auf. Sie war angekleidet und geschminkt. Sie sah angespannt aus, hatte sich aber verwandelt, sie trug eine einwandfreie graue Hose und einen schwarzen Rollkragenpullover, Halbstiefel zum Schnüren aus Ziegenleder. Unter den Arm hatte sie ihren langen Ledermantel geklemmt, in der Hand hielt sie einen voluminösen Terminkalender, ihre Lippen waren leicht geschminkt, sie hatte eine Sonnenbrille auf, eine andere als letzte Nacht, nüchterner, schmaler. Ich saß noch immer in Unterhose auf dem Bettrand und blätterte in einer in blaues Leder gebundenen englischsprachigen Bibel, die ich in der Schublade des Nachttischs gefunden hatte. Ich las nicht wirklich, blätterte nur die Seiten um, schaute mir die Kapitelüberschriften, die Titel der Episteln an. Zerstreut klappte ich den Band wieder zu (ich hatte keinen sehr klaren Kopf), ließ ihn hinter mir auf dem ungemachten Bett liegen und ging mich ankleiden, nahm dann die Flasche mit Salzsäure aus dem Kulturbeutel und zog meinen langen schwarzgrauen Mantel über. Wir verließen das Zimmer und nahmen den Aufzug, wir standen Seite an Seite in der engen durchsichtigen Glaskabine, die ins Zentrum des Atriums des Hotel hinabschwebte, und ich betrachtete die reglosen Lüster in der Halle, drei Lüster von spektakulärer Größe, drei bis vier Meter breit und fast acht bis zehn Meter hoch, ihre Form erinnerte an Likör- oder Schnapsflaschen, Salzfässer aus Kristallglas, in allen Regenbogenfarben schillernde ätherische Weinkaraffen, schmal an der Spitze und immer breiter werdend, je weiter man ihren Körper hinunterglitt, um dann unten fast rund zu werden, vollschlank, feminin, und ungeachtet der Strenge ihrer Linien hatte ihr Glanz doch etwas Fluides, Aquatisches, und letztlich gemahnten sie vielleicht am meisten an riesige Wassertropfen, oder an Tränen, mein Liebling, drei gigantische Tränen aus funkelndem Licht, die da in der Hotelhalle hingen in einem Glitzern von Pailletten und Perlmutt.
Mitten in der großen Marmorhalle des Hotels, neben unseren auf mehreren goldglänzenden Wägelchen aufgetürmten Gepäckstücken, wartete eine Gruppe von fünf Männern in tadellosen Anzügen, mit Seh- oder Sonnenbrillen, Regenschirmen und Aktenkoffern. Einer von ihnen (Yamada Kenji, der einzige, den Marie kannte, er leitete die Tokioer Boutique Allons-y Allons-o ) kam uns mit großen Schritten entgegen, ein um so heiteres Lächeln auf den Lippen, als unsere
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