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Sich lieben

Sich lieben

Titel: Sich lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Philippe Toussaint
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bejahte sie schließlich ein- oder zweimal, sagte dann mit müder Stimme, einverstanden, sie käme. Sie legte auf. Einen längeren Augenblick blieb sie im Bett liegen, unentschlossen (vielleicht sogar fast im Begriff, wieder einzuschlafen), dann erhob sie sich, ging, mit nackten Füßen, unter ihrem dicken Marinepullover lugte ein Stück ihres Nachthemds heraus, zu den Vorhängen und öffnete sie ein wenig, kam zurück zu mir, gähnend, um im dicken ledergebundenen Ordner nachzuschlagen, der die Liste der Dienstleistungen und Telefonnummern des Hotels enthielt. Nachdenklich setzte sie sich auf den Bettrand, drückte zwei Tasten des Telefons und sagte mit präziser Stimme auf englisch, sie habe Gepäck, das zur Rezeption gebracht werden müsse. Danach irrte sie so im Zimmer herum, die Brille der Japan Airlines auf der Stirn, inspizierte ihre Kisten, verifizierte die Aufschriften, schloß jene, die offenstanden. Eins nach dem anderen nahm sie die Kleider, die auf den Reiseständern hingen, und legte sie eine Weile aufs Bett, wie im Transitverkehr, öffnete einen Überseekoffer und begann, die Kleider zusammenzufalten, sie einzuräumen. Auf einer Sessellehne sah ich ihr bestirntes nachtblaues Kleid, aufgelöst und schlaff, ausgebleicht, an der Hüfte aufgerissen, das jetzt im Grau-in-Grau des Tages glanzlos erschien.
    Vierundzwanzig Stunden war es nun her, fast auf die Stunde genau, daß wir in Japan angekommen waren, und als ich alle diese Kisten sah, die Marie für den Abtransport zur Rezeption vorbereitete und schloß, kam mir wieder die Unruhe in den Sinn, die ich am Vorabend am Zoll empfunden hatte, als die Zöllner uns zur Kontrolle unseres Gepäcks angehalten hatten – und an die lebhafte Angst, die mich bei dem Gedanken überkam, sie könnten die Salzsäure finden, die ich bei mir trug. Mein Herz schlug ganz heftig, wann immer der Zöllner auf ein weiteres Gepäckstück auf unseren Wagen zeigte und uns bat, es zu öffnen. Und in der Kiste da, was ist da drin? fragte er mit einer einfachen Geste, ohne Worte. A dress , sagte Marie. Please open , sagte der Zöllner. It is a dress , wiederholte sie, leicht gereizt. Please open , wiederholte der Zöllner, ohne seine Höflichkeit zu verlieren, mit einem Hauch von zusätzlicher Bestimmtheit. Nachdem die vier seitlichen Haken gelöst waren, öffnete Marie den Korbdeckel der Kiste auf dem Zolltisch, mit derselben Begeisterung, als hätte sie da den Sarg eines toten Freundes aufbrechen müssen, dessen Leiche nach einem Autounfall in der Fremde in die Heimat zurückgebracht wurde. Übrigens wirkte das Innere der Kiste wie ein Leichentuch, in dem ein durchsichtiger, röhrenförmiger Körper ruhte, ohne Kopf und Beine, in einem Bett aus Kapok voller Schaumgummi, Stoßdämpfern und Keilen. Ein rein virtueller Körper, ohne Eingeweide und Geschlecht, der da schlaff auf seinem Schaumgummikissen lag, bekleidet mit der neuesten Kreation aus einer spiralförmig aufsteigenden rosafarbenen Neonröhre, an der Taille schmäler, an der Brust breiter verlaufend, eine Röhre, die sich um den nichtexistierenden Körper wand, bis zu einem Riesendecolleté, aus dem, schön eingewickelt in diverse kleine Plastiksäckchen, Elektrokabel und Steckdosen ragten. A dress? sagte der Zöllner. A dress , sagte Marie leise. A sort of dress , räumte sie ein, jetzt, unter dem Blick dieses Zöllners, nicht mehr sehr überzeugt von der Universalität der Worte, Werte und Dinge, eher sehr skeptisch.
    Die Hoteldiener waren an unserer Zimmertür erschienen, und Marie hatte sie eintreten lassen, zwei junge Hotelangestellte in schwarzer Livree mit Goldknöpfen, eine kleine schwarze Mütze auf dem Kopf, wie Marineinfanteristen sahen sie aus. Marie, ebenfalls in Marinepullover, als ob wir uns in der Kabine eines Luxusdampfers auf Kreuzfahrt befinden würden (ich war im Bett liegengeblieben und schaute dieser irrealen Szene zu, die sich da vor meinen Augen abspielte), hatte sie ins Zimmer geführt und ihnen die Koffer gezeigt, die nach unten zu bringen waren, und die wenigen anderen, die oben bleiben konnten. Die Hoteldiener hatten sich an die Arbeit gemacht, und von meinem Bett aus sah ich, wie sie sich verstohlen im Zimmer zu schaffen machten, mit zur Schau gestellter Diskretion, indem sie stehenblieben und Marie vorbeiließen, die noch immer herumwirbelte und Kisten packte, mit den Augen ihren Weg vorwegnahmen, lautlos die großen und kleinen Koffer hochhoben und auf den Flur trugen, wo sie nach und nach

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