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Sich lieben

Sich lieben

Titel: Sich lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Philippe Toussaint
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schmiegte sich mit all ihrer Kraft in meine Arme, die Glieder zitternd, naß von Tränen und Schnee. Die extreme Angst, die sie empfunden hatte, die Müdigkeit, die Erschöpfung, die Aufgeputschtheit all ihrer Sinne seit Beginn der Nacht übertrugen sich nun in ein nicht zu unterdrückendes Bedürfnis nach Zuspruch und Trost, in ein verzehrendes Verlangen nach Vereinigung der Körper und Hingabe. Marie, in meinen Armen, tränenaufgelöst, das Kleid naß, die Haare naß, näherte ihre Lippen ganz nah meinem Mund und fragte mich zitternd, warum ich sie nicht küssen wolle, und sie in meinen Armen haltend, antwortete ich mit leiser Stimme, ihr dabei die Schultern und die Haare streichelnd, um sie zu besänftigen, daß ich niemals gesagt hätte, ich wolle sie nicht küssen, daß ich das niemals gesagt hätte. Aber ich küßte sie nicht, ich beugte mich nicht zu ihr, um sie zu küssen, sie zu liebkosen, sie zu beruhigen und sie daran zu hindern zu weinen, und es war immer wieder dieselbe Frage und dieselbe Antwort, ganz genau derselbe Dialog wie einige Stunden zuvor im Hotel, und mit derselben Heftigkeit, derselben Verzweiflung in der Stimme schrie sie von neuem auf, den Kopf zu mir hochreckend: Und warum küßt du mich dann nicht? Und ich antwortete nicht, ich wußte nicht, was ich antworten sollte, ich erinnerte mich noch sehr genau an die Antwort, die ich ihr da gegeben hatte, aber ich konnte ihr jetzt nicht sagen, daß ich sie weder küssen noch nicht küssen wollte nach den dramatischen Augenblicken, die wir soeben erlebt hatten, sie wäre in die Höhe gefahren, wäre außer sich geraten, sie hätte mich geschlagen, mir das Gesicht zerkratzt. Was sie in der Verzweiflung, die sie in meine Arme hatte flüchten lassen, suchte, war die Wärme meines Körpers, nicht die Geschmeidigkeit meiner Dialektik, sie hatte nichts am Hut mit meinen Worten und meinen Reflexionen, was sie wollte, war die Aufwallung des Herzens, war der Schwung meiner Hände und meiner Zunge, meiner Arme um ihre Schultern, meines Körpers gegen ihren Körper. Hatte ich das nicht kapiert? Und dabei hatte ich in diesem Augenblick weiß Gott wieviel Lust, sie zu küssen – und wieviel mehr jetzt, da wir uns für immer trennten, als damals, als ich sie zum ersten Mal geküßt hatte. Und da, während sie sich immer stärker an mich schmiegte, begriff ich, daß das körperliche Begehren, das nach unserem Liebesakt von dieser Nacht, nach unserem unvollkommenen, unterbrochenen, nicht zu Ende geführten Liebesakt von dieser Nacht ungestillt geblieben war, ein Ventil brauchte, damit sie die Spannungen, die sich in ihr aufgestaut hatten, freisetzen konnte. Sie mußte, damit ihre Erschöpfung ein Ende finden konnte, damit ihre Glieder sich entspannen und ihre Nerven sich beruhigen konnten, zu einem Orgasmus kommen, auf der Stelle, und plötzlich hatte ich das Gefühl, daß es eine fremde Frau war, die ich in den Armen hielt, die sich gegen mich preßte, feucht von Wollust und Tränen, ihre Hüften rieben sich an meinem Unterkörper mit übler Entschlossenheit auf der Suche nach Lustgewinn, das Gewaltsame ihres Begehrens machte mir Angst, ich spürte, wie sie meinen Mund suchte und dabei gegen mein Ohr keuchte, kurz, stoßweise atmend, stöhnend, als würden wir uns inmitten der Menge, die noch immer auf der Brücke an uns vorüberzog, ekstatisch lieben. Die Erde hatte soeben gebebt, und Marie, der die Passanten egal waren, drückte sich an mich und rieb lasziv ihr Geschlecht an meinem Schenkel, hob fiebrig mein T-Shirt, um meinen Bauch zu massieren, dabei mich an das Geländer drückend, ergriff dann meine Hand und führte sie unter ihr Kleid, ließ sie die Schenkel hochgleiten, und da spürte ich den glühenden Kontakt mit ihrem nackten Fleisch, ich spürte an diesem kalten und schneenassen Körper, der sich zitternd an mich preßte, den unglaublich warmen Kontakt mit dem Fleisch ihres Schenkels und die inbrünstige Nähe ihres von Wollust feuchten Geschlechts, ich hatte die Hand in ihren Slip vergraben, und ich fühlte nun unter meinen Fingern die feuchte elektrisierende Weichheit des Inneren ihres Geschlechts, das sich unter meiner Hand zusammenzog, der Tag brach an, und ich begehrte sie in diesem Augenblick ebenfalls ganz stark, ich preßte mich an sie in der Helle des anbrechenden Tags, ich streichelte ihr Geschlecht, knetete ihre Schenkel. Der Tag ging auf über Tokio, und ich stieß ihr einen Finger ins Arschloch.

II

Zurück im Hotel – ich sehe uns am

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