Sich lieben
unterhielt, als habe man sie beauftragt, während eines Staatsbesuchs Herrn Thatcher zu begleiten. Mit ihrer schwarzen Hose und cremefarbenen Bluse, Seidenschal, dunklen feurigen Augen (außer ihren Haaren war nichts an ihr blond) schäkerte sie leicht frivol und folgenlos mit mir, während wir wieder die Halle durchquerten, streifte lachend meinen Arm und erging sich auch noch in einen langen Satz, wobei sie eine ihrer unschuldigen dunklen Augenbrauen hob, um ihre Überraschung, ja ihre Verblüffung zu dokumentieren angesichts irgendeines Einwands, den ich gar nicht gemacht, den sie einfach nur vorweggenommen hatte. Sie mochte siebenundzwanzig, achtundzwanzig sein, schien aber die Wandelgänge der Diplomatie schon doppelt so lange durchwandert zu haben, ihre unbestreitbare Selbstsicherheit und ihr einnehmendes Lächeln waren entmutigend. Ich betrachtete sie erschöpft, legte meine Hand unter mein rauhes stoppeliges Kinn, war gereizt durch ihre heitere Stimme, die ein Hauch von Lispeln charmant umgarnte ( sarzée de miction ). Und wo, sagte ich, waren Sie denn eigentlich, als wir in die Halle kamen?
Wir hatten auf schwarzledernen Kanapees und Sesseln Platz genommen, auf einem Zwischengeschoß, von dem aus die Hotelhalle zu überblicken war, und uns Kaffee servieren lassen, keine Ahnung, wie viele Tees und Kaffees wir seit unserer Ankunft in Japan schon getrunken hatten. Auf unserem Couchtisch lagen diverse Dokumente, große farbige Aluminiumordner, Klarsichthüllen, ein eingerollter Plan des Museums von Shinagawa, Photos, Dossiers, ganz zu schweigen von den kleinen Willkommensgeschenken, die Marie freundlich und verdrossen ausgepackt hatte, ohne darüber sonderlich glücklich zu sein, sie bekommen, noch überrascht, überhaupt welche erhalten zu haben, sie einfach zur Seite legte, unter das zerknitterte Geschenkpapier, einen Schal, perlmuttverzierte Eßstäbchen, Räucherstäbchen. Yamada Kenji hatte uns das Tagesprogramm überreicht, und ich überflog es in einer Art komatösem Dunst, der mir den Geist vernebelte. Wir waren jetzt beim Programmpunkt Begrüßung (9 Uhr – 10 Uhr, Begrüßung im Hotel). Dem folgte, laut Programm, ein Besuch der Säle des Museums von Shinagawa, um die Hängung der Ausstellung vorzubereiten, danach ein Treffen mit Journalisten des Magazins Cut , Mittagessen in einem traditionellen Speiselokal, eine Photosession für das Titelblatt eines Modemagazins, ein Besuch des Gebäudes von Spiral , gefolgt von einem Empfang und einem Abendessen. Ich nahm von alldem mit einem gewissen Überdruß und Schrecken Kenntnis, als Herr Morita, an meiner Seite, der sein Programm auf den Tisch gelegt hatte, anfing, über das Erdbeben an diesem Morgen zu sprechen. Kaum war das Erdbeben erwähnt (zweifellos konnte kein Thema jeden von uns tiefer berühren), nahmen sofort alle an der Unterhaltung teil, sowohl der schweigsame Kawabata, der einen keinen Widerspruch duldenden Satz auf japanisch losließ, den niemand uns übersetzte, als auch die zwei geschniegelten jungen Männer, die ihre Schüchternheit überwanden und ebenfalls ihr Scherflein zur Debatte beitrugen. Der jüngste (wenn es denn möglich war, jünger als der andere zu sein), der ebenso zurückhaltend wie wohlinformiert war, hob an, uns in einem esoterischen Englisch zu erklären, daß nach Radioinformationen an diesem Morgen in einem Dorf der Halbinsel Izu, wo das Epizentrum des Bebens lag, eine Person durch Herzschlag gestorben war. Worauf der unberechenbare Kawabata sich urplötzlich in seinem Sessel aufrichtete – er hatte sich mit unter der Nase verschränkten Händen nach hinten gebeugt, um Schwung zu holen und nach vorn zu schnellen – und mit einem neuerlichen keinen Widerspruch duldenden Satz auf japanisch antwortete, und während man sich bis dahin, aus Höflichkeit uns gegenüber, bemüht hatte, eher Französisch oder Englisch zu sprechen, wurde die Unterhaltung nun ausschließlich auf japanisch fortgesetzt, jeder ergänzte ein Detail oder führte ein weiteres an, ahmte den Fall von Gegenständen, panische Angst, Taumel nach. Den Aussagen von Yamada Kenji zufolge, dem einzigen, der uns weiterhin von Zeit zu Zeit noch ein paar Informationen übersetzte, hatte es zwei Beben gegeben, ein kleineres, horizontal, kaum wahrnehmbar, gegen ein Uhr nachts, und ein sehr viel stärkeres bei Tagesanbruch, das in Tokio Schäden angerichtet hatte, Stromausfälle, Zugverspätungen, Erdrutsche, Fensterscheiben waren zu Bruch gegangen, Dächer und Teile
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