Sich lieben
Contemporary Art Space von Shinagawa fuhr, hatte ich die Hand Maries ergriffen, drückte sie zärtlich in meiner, ich spürte die Wärme ihrer Finger an meiner Haut. Die Stimmung im Wagen war gedrückt, der Regen schlug gegen die Fenster, an der Windschutzscheibe schwang ein Scheibenwischer regelmäßig hin und her. Niemand sagte etwas. Yamada Kenji saß vorne, neben dem Fahrer, er hatte die Adresse des Museums genannt und konsultierte schweigend kleine rosafarbene quadratische Zettel auf seinen Knien. Die junge Angestellte der französischen Botschaft schaute nachdenklich aus dem Fenster, und auch sie schwieg, eingeschüchtert durch die Tränen Maries.
Um zum Eingang des Museums zu gelangen, mußten wir einige hundert Meter längs einer Umfassungsmauer aus großen Steinen gehen. Das Taxi hatte uns oben am Weg aussteigen lassen, auf dem weiträumigen menschenleeren Parkplatz eines Hotels. Nachdem unsere Gruppe wieder zusammen war (die anderen waren uns in einem zweiten Taxi gefolgt), hatten wir uns bei Nieselregen in Marsch gesetzt, wir folgten einem Weg aus rutschigen und unebenen Steinen abwärts, der sich zwischen Bäumen zu einem Teich hinschlängelte. Wir kamen langsam voran im Schutze zweier riesiger Regenschirme, einer königsblau, der andere tiefgrün, die sich im Dunst abhoben und mit linkischem Eifer von den zwei jungen Leuten von Spiral gehalten wurden, die, auf jeder Seite einer, neben uns mit ausgestreckten Armen tippelten, um uns Schutz zu bieten. Hinter der Pforte des Museums, einer breiten Metallpforte, die elektronisch bedient wurde (roter Laserpunkt, Überwachungskamera), das Contemporary Art Space , das in dem ländlichen Dekor, in dem wir uns befanden – Bäume und Teich, Mooswege und Unterholz, in der Ferne waren sogar das Zwitschern von Vögeln und das Quaken von Fröschen zu hören – stark aus dem Rahmen fiel. Der weiße langgestreckte Umriß des Gebäudes tauchte im Hintergrund eines Parks auf, stromlinienförmige Mauern und gewellte Aluminiumplatten, die dem Bau das Aussehen einer Flugzeughalle oder eines hochtechnischen Labors gaben. Die Tür aus Milchglas führte zu einer großen Eingangshalle aus schwarzem Marmor, in der wir einige Minuten warteten, bevor wir vom Direktor des Museums empfangen wurden, mit graumeliertem Bart und dazu passendem Pepitajackett, der zudem erstaunliche weißglänzende Pumas trug, mit einem stilisierten Raubtier an jedem Fuß, die bereit schienen, beim geringsten Erlahmen der Wachsamkeit von seinen Absätzen zu springen. Durch eine versteckte Tür führte er uns in die Büros des Museums und weiter in einen Privatsalon neben einem Kontrollraum, dessen Tür halb offen stand, im Dämmerlicht sah man eine Reihe von Videobildschirmen. Wir nahmen auf Sofas um einen schwarzen lackierten Couchtisch Platz, und sogleich tauchte in unserem Rücken eine junge Angestellte mit einem Tablett auf, um uns grünen Tee zu servieren. Sie stellte vor jeden eine Schale hin und zog sich wieder schweigend zurück. Wir redeten nicht, lächelten nicht. Die Tränen Maries hatten alle abgekühlt, nur der Direktor des Museums hatte sich noch nicht die Finger verbrannt und schien entspannt und fast jovial, mit gekreuzten Beinen hatte er es sich auf seinem Sofa bequem gemacht. First time in Japan? fragte er Marie mit mächtiger Stimme. Keine Antwort. Reglos, ihre Sonnenbrille mit sehr dunklen Gläsern vor den Augen, stierte Marie geradeaus, mit verstockter Miene, die Frage schien sie überhaupt nichts anzugehen, wer weiß, ob sie sie überhaupt gehört hatte. Nein, sagte sie endlich, auf französisch, ohne sich die geringste Mühe zu geben. Das wirkte wie eine kalte Dusche, alle rutschten auf ihren Sitzen hin und her, aber es gab keine weitere Frage, das Gespräch war beendet. Ich möchte die Räume sehen, sagte sie.
Marie schritt einige Meter vor uns in einen riesigen leeren Ausstellungssaal, allein, in ihrem langen schwarzen Ledermantel, ihre Sonnenbrille auf die Stirn geschoben, den Terminkalender in der Hand. In gewisser Weise hatte sie bekommen, was sie wollte, sie hatte die Stille und den Respekt erzwungen, die sie für ihre Konzentration brauchte, mit den Tränen und der Schroffheit des Tons weit mehr als mit der lächelnden Überlegenheit, die sie in der Regel gegen ihre Gesprächspartner in Anschlag brachte (wirksamer, aber die anzuwenden sie heute entweder nicht die Kraft oder nicht die Flexibilität hatte), und das Ergebnis war da, man hielt sich zurück, wagte nicht, sie
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