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Sich lieben

Sich lieben

Titel: Sich lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Philippe Toussaint
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betrachtete ich die Decke, reglos, die Beine übereinandergeschlagen, die Hände in den Manteltaschen. Ich wußte nicht, was ich machen sollte. Was hatte ich in diesen Tagen in Tokio zu suchen? Nichts. Mit ihr brechen. Aber mit ihr brechen, ich begann, mir das klarzumachen, war eher ein Zustand als ein Tun, eher Trauer als Agonie.

Ich verließ das Zimmer am frühen Nachmittag mit einer Reisetasche, die das Nötigste enthielt, zwei Hemden, einige T-Shirts, meinen Kulturbeutel. In der Halle wechselte ich Geld an der Rezeption. Ich hatte ein Formular ausgefüllt und meine Kreditkarte am Wechselschalter vorgelegt, und ein Angestellter händigte mir zweihunderttausend Yen in bar aus, ein Bündel von zwanzig Banknoten zu je zehntausend neuen Yen, glatt und weich, in einem festen Umschlag, dessen Größe genau dem der Scheine entsprach. Ich nahm die Scheine aus dem Umschlag, zählte sie durch, indem ich die Finger über die sinnliche Oberfläche der Scheine gleiten ließ, und teilte dann das eine Bündel in drei auf, zwei Scheine nahm ich an mich, die anderen acht legte ich zwischen die Seiten meines Passes und die letzten zehn blieben im Umschlag. Ich ging in der Halle in die Hocke, um meine Reisetasche zu öffnen, und steckte dann den Umschlag, zweifach gefaltet, in ein Seitenfach meines Kulturbeutels. Ich verließ das Hotel im Regen, marschierte etwa zehn Minuten durch graue Straßen, bevor ich die wenigen Stufen eines Seiteneingangs der U-Bahnstation Shinjuku hinunterstieg. Ich folgte kilometerlangen Rollbändern in unterirdischen Gängen. Je näher man dem Bahnhof kam, um so dichter wurde die Menge, und ich setzte meinen Marsch in endlosen feuchten Gängen fort. Die U-Bahngänge waren von zahlreichen Clochards belegt, die sich längs der Wände niedergelassen hatten, auf Decken oder in schlichten Kartons, in Behelfszelten, auf mit Fettflecken oder Pißspuren verzierten alten Matratzen, auf dem Boden stehengelassene Kochtöpfe, eine zum Trocknen hingelegte Hose, Schnüre, leere Becher, aufeinandergeschichtete Platten mit Bentos, reglos daliegende Hunde mit zugebundener Schnauze und nach Feuchtigkeit stinkendem Fell, ein ekelhafter Gestank nach U-Bahnschacht und nassem Tier, der unerwartete Erinnerungen an Paris in die Nase steigen ließ.
    Bevor ich das Hotel verließ, hatte ich mir den Plan der U-Bahn angesehen, mir boten sich mehrere Möglichkeiten, ich konnte entweder die Linie Yamanote des J.R. nehmen, die runter nach Süden fuhr, wieder hochkam und dann die Stadt in einem großen Bogen umrundete, oder aber die U-Bahn, die Linie Marunouchi, mit einem feinen karminroten Streifen gekennzeichnet. Mir war alles gleich, und so ließ ich mich auf gut Glück von den Abzweigungen der Gänge und der Bewegung der Menge und mit wachsamem Blick auf die Inschriften der Schilder leiten. Der rote Faden der Linie Marunouchi fiel mir als erstes ins Auge, und so spulte ich ihn gewissermaßen von Schild zu Schild ab, folgte den Gängen und Rolltreppen bis zu den Gleisen. Nach einer kurzen Viertelstunde Fahrt, stehend in einem überheizten Wagen (es war dermaßen heiß, daß ich den Mantel ausgezogen und unter den Arm geklemmt hatte), stieg ich an der Station Tokio aus. Ich fuhr die Rolltreppe hoch und fand mich erneut wie verloren in einem riesigen Bahnhof, der in seinen Ausmaßen dem von Shinjuku glich, mit Ladengalerien auf mehreren Stockwerken, die durch Aufzüge aus Glas verbunden waren. Mit Kopfschmerzen und fiebriger Stirn begab ich mich weiter hinein in das Labyrinth einer unterirdischen Galerie, die gesäumt war von Geschäften aller Art, da waren Reiseagenturen und Eingänge von Kaufhäusern, nach außen hin offene weiträumige Buchhandlungen und winzige Friseursalons, mit ihrem spiralförmigen blauroten Glassiphon, Cafés, Bars, Dutzende von Restaurants mit ihren Tageskarten und ihren Speiseangeboten in der Vitrine, dargestellt durch mehrfarbige kleine Wachsfiguren, die an Puppengeschirr und Operettensushis gemahnten. Ich stieg mehrere Rolltreppenläufe aufwärts und bewegte mich weiter in der Menge, auf der Suche nach der Abfahrtshalle der Shinkansen. Alles war erstaunlich gut beschildert, und nach weniger als fünf Minuten hatte ich meine Fahrkarte.
    Der Shinkansen, ein langer schlanker weißer Vogel, hatte den Bahnhof von Tokio verlassen und rollte nun langsam über ein Viadukt mitten in der Stadt, ich hatte in einem nicht reservierten Wagen einen Platz nahe dem Fenster gefunden, ich sah die erleuchteten Scheiben der

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