Sich vom Schmerz befreien
Weise, wie die Bereiche des Nervensystems zusammenarbeiten, um seine Aktivität zu steuern.
Wie Sie sehen, ist auch ein Skelettmuskel ein Prozess ständiger funktioneller und struktureller Veränderung. Eine willentliche Bewegung muss unbewusste Muskelaktivitäten, muss bewusste und unbewusste subjektive Empfindungen, Gedanken und Gefühle berücksichtigen. Sie ist eine Augenblicksentscheidung und damit ein Verhalten, das prinzipiell nicht vorhergesagt werden kann! Das scheint der Wirklichkeit völlig zu widersprechen. Im Alltag bewegen wir uns gröÃtenteils, ohne uns Gedanken darüber zu machen, wie wir das tun. Es hat den Anschein, als wären wir »programmgesteuert«. Das muss auch so sein, sonst wären wir hoffnungslos überfordert und handlungsunfähig. Für jedes Bewegungsverhalten gibt es eine bestimmte Anzahl von »Trampelpfaden«, von Wegen, die durch unsere bisherigen Erfahrungen angelegt wurden und zwischen denen man wählen kann.
Mit einem Pfad ist, wie geschildert (siehe S. 34 f.), ein bestimmter bio-elektrischer Prozess der Verhaltenssteuerung gemeint, der sich stets in bestimmten körperlichen und psychischen Erscheinungen zeigt. So bildet jeder von uns
individuelle Gewohnheiten, sogenannte »Verhaltensmuster«. Auf psychischer Ebene sind dies zum Beispiel Denkmuster, Einstellungen und emotionale Reaktionsmuster - bewusste und unbewusste. Körperlich sind es vor allem Haltungs- und Bewegungsmuster, auch Atemmuster. Bewegungsabläufe werden so zur Routine und wir können selbst komplexeste Handlungen wie Autofahren längere Zeit problemlos durchführen und dabei über Probleme nachdenken, uns unterhalten und uns genüsslich ein Musikstück anhören. Die GroÃhirnrinde ist dabei der »Steuermann des Schiffes«, der alles überwacht. Die Arbeit machen die unbewussten Zentren, sie sind die Schiffsbesatzung, ohne die das Schiff nicht auslaufen könnte. Doch auf allen Bewusstseinsebenen werden ständig Entscheidungen getroffen, die vom Steuermann überwacht und verändert werden können. Daraus ergibt sich der zentrale Aspekt kommunikativer Schmerztherapie, wie ich sie im nächsten Kapitel erläutere - die Wahrnehmung der Muskelaktivität.
Schmerz und Muskelspannung
Bevor wir jedoch dieses Konzept der Bewegungssteuerung für die Gestaltung der Schmerztherapie anschauen, müssen wir uns zunächst klarmachen, was aus dieser Sicht Muskelspannung bedeutet. In welcher Hinsicht ist sie ein sinnvolles Verhalten und zugleich eine Gefahr, vor der uns der Schmerz bewahrt, indem er das »Gleichgewicht« in der Muskelaktivität wiederherstellt und so das Ãberleben sichert? Aus naturwissenschaftlicher Sicht würde ich nun erklären, welche objektiv definierte Muskelspannung zu welchen Schädigungen führt und wie ein Schmerz dies - objektiv messbar - verhindert. Doch da ich Schmerz als aktives, individuelles Verhalten verstehe,
das in seinem Verlauf nicht allgemeingültig objektiv erfasst werden kann, komme ich also erneut auf die Systemtheorie zu sprechen (siehe Kapitel 1). Dort geht es nicht so sehr um ein lineares »Wenn«, »Dann« und »Weil«, sondern vor allem darum, wie die einzelnen Elemente eines Systems miteinander in Verbindung stehen und sich gegenseitig beeinflussen. Ein zentraler systemtheoretischer Begriff ist die »Regulation«.
Leben ist ein Regulationsvorgang
Regulation kann gut am Beispiel eines Thermostats, das in einer Heizungsanlage die Raumtemperatur konstant hält, erklärt werden. Sie wird ständig gemessen und sobald sie unter einen bestimmten Wert absinkt, sorgt das Thermostat dafür, dass sich die Heizung einschaltet und läuft, bis der vorher eingestellte »Sollwert« wieder erreicht ist.
Auch Verhaltensvorgänge im lebenden Organismus lassen sich als Regulationsprozesse beschreiben. Ein Beispiel: An einem heiÃen Sommertag steigt die Körpertemperatur. Der Mensch beginnt zu schwitzen, was den Körper abkühlt und somit die Temperatur reguliert. Kennzeichnend für einen Regulationsvorgang ist die bereits erwähnte »Zirkularität« oder auch »Rückkoppelung« . Das bedeutet, dass ein Prozess immer auf sich selbst zurückwirkt: Das Schwitzen reguliert die Körpertemperatur, die Körpertemperatur wiederum das Schwitzen. Man spricht deshalb von einem »Regelkreis«. Nun hängen aber die
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