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Sich vom Schmerz befreien

Titel: Sich vom Schmerz befreien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Weitzer
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»Körpertemperatur« und das »Schwitzen«, wie alle Prozesse im Organismus, noch mit weiteren Vorgängen zusammen: Nehmen wir einen Mann, der eine körperlich anstrengende Arbeit verrichtet und schwere Gegenstände tragen muss. Um die Blutversorgung zu gewährleisten, schlägt das Herz schneller und der Blutdruck wird erhöht. Durch die Muskelarbeit entsteht Wärme, die Körpertemperatur steigt. Der Mann fängt an zu schwitzen, was kühlend wirkt. Dies wiederum harmonisiert
den Blutdruck. Bereits durch eine weitere Komponente - die Muskelaktivität - entstehen also ungleich mehr regulative Zusammenhänge als im ersten Beispiel.
    Weitere Prozesse - körperliche wie auch psychische -, die sich gegenseitig beeinflussen, kommen hinzu: Wenn der Mann Angst hat, seinen Job zu verlieren, schwitzt er noch mehr und sein Blutdruck steigt noch höher. Berücksichtigt man die Zirkularität, wird das Ganze schnell unüberschaubar komplex. Doch da alle Vorgänge in mehrere Regelkreise eingebunden sind, erhöht ein komplexer Organismus eine gewisse Stabilität. Er organisiert sich selbst und bewegt sich im Gleichgewicht. In Situationen, in denen dies durch Störungen gefährdet ist, helfen ihm Stress und Spannung, sein Verhalten zu regulieren.
Schmerz reguliert Muskelspannung
    Wenn Spannung vom Organismus (unbewusst!) als Gefahr wahrgenommen wird, sorgt der Schmerz sozusagen für eine »Gegenspannung«, mit der die bedrohliche Muskelspannung kompensiert wird. Aber welche Gefahr ist hier eigentlich gemeint? In der Evolution ist Schmerz lange vor dem Menschen entstanden. Muskelaktivität war und ist bei Tieren in der Natur entscheidend für Überleben und Arterhaltung. Die Hauptfunktion dabei erfüllt die schon erwähnte Skelettmuskulatur, die dem Körper dabei hilft, zu kämpfen, zu flüchten, zu fressen und sich fortzupflanzen. Wird ein Tier verletzt, so sichert Muskelspannung das Überleben: Das Reptiliengehirn (siehe S. 30) übernimmt das Kommando und sorgt für grundlegende, angeborene Schutzreaktionen. Diese bedeuten, dass sich die Aktivität der Muskelfasern innerhalb eines Muskels und damit das Zusammenspiel zwischen allen Skelettmuskeln in bestimmter Weise verändern. Es kommt zu Schutzreflexen, die in der Stressforschung genau untersucht und beschrieben wurden.

    Sie helfen einerseits zu überleben, indem sie die Bewegungsmöglichkeiten einschränken, den verletzten Körperteil schützen und entlasten und so den Heilungsprozess unterstützen. Zugleich aber werden die Funktionen der Skelettmuskeln durch sie eingeschränkt: Denn Bewegung, Atmung und Körperhaltungen verbrauchen übermäßig Energie, werden unökonomisch und führen so zu »Funktionsstörungen«, muskulären und biochemischen »Dysbalancen« und dadurch zu »Fehlbelastungen«. Sollte also diese hilfreiche Muskelspannung beibehalten werden, wären eingeschränkte Funktionsfähigkeit und degenerative Veränderungen die Folge. Und davor schützt der Schmerz. Er verstärkt die Schutzreflexe und wirkt so der Bedrohung entgegen. Kurzfristig, indem er zum Beispiel dafür sorgt, dass die Hand, die zufällig die heiße Herdplatte berührt, blitzschnell weggezogen wird. Längerfristig, weil der Organismus die Schutzspannung wieder aufgibt, wenn er sie nicht mehr braucht. Indem der Schmerz als Belastung selbst zu Spannungen führt, unterstützt er den Heilungsprozess, etwa bei der sogenannten »Schonhaltung«: Wenn ein Bein verletzt ist, wird eine Gegenspannung produziert und das Körpergewicht auf die andere Seite, das andere Bein verlagert.
    Â 
    Schmerz ist also nur über Muskelspannung zu verstehen, sie sorgt bei Gefahr für Regulation. Ohne den Schmerz würden wir nicht so schnell reagieren. Die Hand bliebe länger auf der heißen Herdplatte und wir erlitten schwerere Verbrennungen. Wir würden ein verletztes Bein weiterhin belasten und so die Funktionsfähigkeit gefährden. Die Hilfsvorrichtung Schmerz war in der Evolution sehr erfolgreich. Sie konnte sich durchsetzen und funktioniert immer noch zuverlässig. Sogenannte »akute Schmerzen« verschwinden, wenn sie ihren Dienst getan haben und die muskuläre Schutzspannung nicht mehr nötig ist. Während der Entwicklung zum Menschen wurde auch die Muskelaktivität immer komplexer. Sie gipfelt in der bewussten
und willentlichen

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