Sichelmond
seine Hand zurück. Der Zeigefinger seiner rechten Hand glühte noch immer hell und heiß vom Schreiben in die grüne Tür. Er sah sich sein Gemälde zufrieden an. Dann zog er die Hand zurück, blies gegen die Spitze seines Zeigefingers und ließ die Hitze seiner Hand verschwinden.
In diesem Moment bemerkte er, dass Rouven erwacht war. Augenblicklich zog sich das typische eisige Grinsen über Jachaels Gesicht, und sein Zungenschnalzen war zu hören.
»Schau an, wer da wach wird«, freute er sich. »Zum ersten Mal bist du pünktlich.« Er nickte den Symbolen auf der Tür zu. »Schau, gerade habe ich dich gerufen. Wie in den Neumondnächten zuvor. Doch bisher hatte es immer gedauert, bis du endlich den Weg zu mir gefunden hattest. Jedes Mal musste ich unendlich lange warten, bis du von meinen Gedanken angezogen den Weg in die Wohnungen deiner Seelenschützer gefunden hattest. Das war ganz schön anstrengend. Aber heute …«
Er schaute zum Fensterbild, und Rouven folgte seinem Blick. Es musste mitten in der Nacht sein. Nicht ein einziger Lichtpunkt war durch die Scheibe zu erkennen.
Die Kapelle selbst war durch die unzähligen Kerzen erleuchtet, die wieder in dem ganzen Raum aufgestellt waren.
Rouven sah an sich herab. Die Krähe in ihm hatte sich gänzlich zurückgezogen. Auch Jachael stand in seinem menschlichen Körper in dem Raum.
Rouven ließ seinen Blick weiter schweifen. »Du hast ja gar nicht aufgeräumt«, sagte er. »In den Nächten zuvor hattest du dir mehr Mühe gegeben.«
Jachael winkte ab. »Oh, bitte. Überlass die ironischen Sprüche mir, ja? Warum sollte ich die Kapelle verwüsten? Menschen werden uns hier drin nicht finden. Und dich beeindrucke ich mit völlig anderen Dingen als ein paar umgeworfenen Kirchenbänken. Wart nur ab!«
Rouven versuchte sich zu erheben, doch augenblicklich schossen ihm Blitze durch das Gehirn. So hockte er sich erst einmal nur auf die Erde. »Was meinst du damit, Menschen können uns hier drin nicht finden?«, hakte er nach.
»Eine neue Fähigkeit, die ich erlangt habe«, prahlte Jachael stolz. »Du kennst sie noch nicht. Ich habe in den letzten Jahren daran gefeilt. Ich kann uns wie in einer Blase gefangen halten. Nur dich und mich. In diesem Raum. Aber niemand sonst kann diese Blase betreten. Es ist, als drehe sich die Welt ohne uns weiter. Wir setzen sozusagen einmal aus. Unsichtbar für alle Menschen, Tiere, Geister und was sonst noch auf der Erde rumflitzt. Glaub es mir, das hat schon mal funktioniert.«
»Als Tabitha mich hier gesucht hatte?«
Jachael schnalzte beeindruckt. »Genau. Während unseres ersten Treffens. Sie war zwar hier drin, doch sie konnte nichts von uns sehen oder hören oder auch nur erahnen. Nicht einmal in ihrer Geistergestalt. Gut, oder? Diesen Zauber hat mir einer meiner Verbündeten gezeigt, und ich wusste sofort, dass ich ihn einmal verwenden werde. Gegen dich und gegen Tabitha.«
Tabitha! Rouven wandte rasch den Kopf zu der Stelle am Boden, an der Tabithas Herz gelegen hatte, als Jachael ihm das Bewusstsein genommen hatte. Doch das Herz war verschwunden.
»Suchst du das hier?« Jachael war Rouvens Blick nicht entgangen. Wie schon einmal zuvor fischte er ein riesiges Glas hinter seinem Rücken hervor, in dem ein Herz beständig pochte. »Du glaubst doch nicht, dass ich dieses so wichtige Produkt tagelang auf dem Boden liegen lasse, oder? Ich bin doch kein Unmensch.« Er räusperte sich. »Oh, entschuldige. Natürlich bin ich ein Unmensch. Aber einer, der weiß, was sich gehört.«
»Tagelang?«, wiederholte Rouven.
Jachael nickte grinsend. »Du hast vielleicht einen tiefen Schlaf. Wenn du mal pennst, … Zum Glück schnarchst du nicht. Das hätte ich keine drei Nächte ertragen.«
Rouven verstand augenblicklich. »Dann habe ich mich nicht getäuscht. Wir befinden uns in einer Neumondnacht.«
Jachael schnippte mit den Fingern und ließ so die Kerzen an den Wänden aufflackern. »Wunderbar, wunderbar«, tönte er spöttisch. »Der Kandidat hat einhundert Punkte. Glückwunsch! Und der Gewinn? Ihr Todestag, heute noch ausgeliefert.«
Rouvens Hirn arbeitete endlich auf Hochtouren. Drei Nächte hatte er hier zugebracht. Er überlegte, was in der Zwischenzeit wohl geschehen sein mochte. Wie ging es Tabitha? Und Nana?
Jachael schien Rouvens Gedanken wieder einmal zu erraten. »Denkst du an deine Lieben? Dein Herzblatt ist dir näher, als du ahnst. Na komm, ich zeig es dir.«
Er kam auf Rouven zugesprungen. Rouven wollte sich
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